Dossier


Hongkong: Das Ende der Freiheit

Die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong steht erst seit 1997 wieder unter chinesischer Verwaltung. Seither ist sie – neben Macao – eine von zwei chinesischen Sonderverwaltungszonen. Aufgrund des mit den Briten ausgehandelten Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“ galten in Hongkong viele Jahre andere Regeln als im chinesischen Kernland. Hongkong ist marktwirtschaftlich organisiert und gewährte seinen Bürgerinnen und Bürgern lange Zeit Freiheiten und politische Mitspracherechte. Die Metropole hat mehr als sieben Millionen Einwohner und ist ein bedeutender Wirtschafts- und Finanzstandort. Bis in die 2010er Jahre galt Hongkong als freiheitlicher Gegenentwurf zum autoritär regierten Kernland. Dies änderte sich, als der chinesische Zentralstaat ab 2014 damit begann, die Autonomie Hongkongs und die Freiheit der dort lebenden Menschen einzuschränken.

Alle wichtigen Informationen über die Anliegen der Demokratiebewegung und die Pläne der chinesischen Staatsmacht finden Sie in diesem Dossier.

Von der britischen Kronkolonie zur chinesischen Sonderverwaltungszone

Hongkong wurde während des Ersten Opiumkriegs 1841 von Großbritannien besetzt und erhielt durch den Vertrag von Nanking 1843 den Status einer britischen Kronkolonie. Mehr als einhundert Jahre später vereinbarten Großbritannien und die Volksrepublik China 1984 in ihrer Gemeinsamen Erklärung zu Hongkong die Rückgabe aller britischen Besitzungen für das Jahr 1997. Da die chinesische Führung um den damaligen Generalsekretär Deng Xiaoping vor allem an politischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität interessiert war, zeigte sie sich zu weitgehenden Zugeständnissen bereit: Hongkong sollte nach der Übergabe an China zur autonomen Sonderverwaltungszone werden und für mindestens fünfzig Jahre das liberal-kapitalistische System beibehalten.

Enttäuschte Hoffnungen: Hongkong wird zur Scheindemokratie

Demonstrationen für freie Wahlen

Der Bevölkerung Hongkongs waren im 1997 in Kraft getretenen Grundgesetz freie und allgemeine demokratische Wahlen in Aussicht gestellt worden. In Artikel 45 heißt es: „Das angestrebte Ziel ist die Auswahl des Regierungschefs auf dem Wege allgemeiner, demokratischer Wahlen auf Basis einer Kandidatennominierung, die von einem repräsentativen Nominierungskomitee vorgenommen wird.“ Chinas Nationaler Volkskongress nährte demokratische Hoffnungen, als er 2007 in einem Beschluss andeutete, dass Hongkongs Regierungschef 2017 erstmals durch allgemeine, demokratische Wahlen bestimmt werden könnte.

Noch im Frühjahr 2014 berieten politische Gremien in Hongkong über die für demokratische Wahlen erforderlichen Reformschritte. Umso größer war die Enttäuschung, als Chinas Nationaler Volkskongress im August des selben Jahres seine Entscheidung zum künftigen Ablauf der Wahlen bekanntgab. Zwar sah die Entscheidung allgemeine und direkte Wahlen des hongkonger Regierungschefs vor – allerdings mit der entscheidenden Einschränkung, dass ein staatliches Komitee zunächst eine Vorauswahl über die zur Wahl zugelassenen Kandidaten treffen würde. Der Bevölkerung bliebe nur noch die Wahl zwischen zwei bis drei „patriotischen Kandidaten“, die zuvor von einem regimetreuen Gremium ausgewählt wurden. Selbst gegenüber der bisherigen Regelung, welche die Wahl des Regierungschefs durch fünfjährlich neugebildete Wahlkomitees vorsah, stellte dies einen Rückschritt dar.

 

Mit der Reform des Wahlmodus hatte sich die Hoffnung auf mehr politische Beteiligung in ihr Gegenteil verkehrt. Peking wollte Hongkong noch enger an sich binden und jeden Ansatz einer eigenständigen Politik unterbinden. Für die demokratisch gesinnte Bevölkerung von Hongkong war dies ein harter Schlag. Ausgehend von studentischen Protestaktionen kam es zwischen September und Dezember 2014 zu Massenprotesten mit mehreren hunderttausend Teilnehmenden. Für eine Zeitdauer von mehr als zwei Monaten besetzten die Demonstrierenden zentrale Plätze in den Stadtteilen Causeway Bay und Mong Kok und blockierten zeitweise den Zugang zum Regierungssitz. Obwohl die Proteste überaus friedlich verlaufen, ging die Polizei zur Räumung öffentlicher Plätze mehrfach mit großer Vehemenz und unter Einsatz von Tränengas gegen die Demonstrierenden vor. Nachdem sich viele Demonstrierende mit Regenschirmen gegen die Reizgasattacken der Polizei zu schützen versuchten, wurden die Schirme zum Symbol der Proteste.

Die Proteste der Demokratiebewegung erstreckten sich über rund vier Monate bis Mitte Dezember 2014. Von diesen ließ sich Chinas politische Führung allerdings nicht erweichen und hielt an ihrem Vorhaben fest, keine tatsächlich demokratichen Wahlen des Regierungschefs zuzulassen. Zahlreiche Demonstrierende wurden verhaftet. Gegen die Organisatoren der Protestaktionen wurden Verfahren eingeleitet und viele von ihnen zu Haftstrafen verurteilt.

Die Proteste der Demokratiebewegung 2019/2020

2019 kam es erneut zu Massendemonstrationen. Auslöser war ein Gesetzentwurf der regimetreuen hongkonger Regierung, der u. a. die Möglichkeit zur Auslieferung von Häftlingen an die Volksrepublik China vorsah. Kritiker des Vorhabens fürchteten, dass Hongkonger Bürger oder in Hongkong befindliche Ausländer – auch aus politischen Gründen – für Prozesse auf das chinesische Kernland verschleppt werden könnten, wo es keine unabhängige Justiz oder Gerichte gibt.

Die weitaus größere Furcht galt jedoch einer schleichenden Machtübernahme durch die chinesische Zentralregierung und dem Verlust von Freiheit und Autonomie. An riesigen Demonstrationen im Juni und August 2019 beteiligten sich jeweils mehr als eine Million Menschen, was rund einem Viertel der Hongkonger Bevölkerung entspricht. Anfangs noch friedlich, schlugen die Proteste aufgrund des harten Vorgehens der Polizei und Drohungen der chinesischen Zentralregierung in einen gewaltsamen Volksaufstand mit Straßenschlachten um. Auch nachdem Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam im September 2019 die Rücknahme des umstrittenen Gesetzesvorhabens verkündet hatte, gingen die Demonstrationen weiter. Die Teilnehmer forderten freie Wahlen, eine unabhängige Untersuchungskommission zur Polizeigewalt und den Rücktritt von Hongkongs Regierungschefin Lam.

Bei den Kommunalwahlen im November 2019 errang das prodemokratische Lager einen überwältigenden Sieg. 17 der 18 Hongkonger Distrikte und mehr 85 Prozent der zu vergebenden Sitze gingen an prodemokratische Kräfte. Auch wenn die Kommunalpolitik in Hongkong nur über geringen politischen Einfluss verfügt, machte das Wahlergebnis deutlich, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung die Forderungen der Demokratiebewegung unterstützte.

  • Am 16. Juni demonstrieren in Hongkong rund zwei Millionen Menschen für Freiheit und Demokratie.

    Am 16. Juni 2019 demonstrieren in Hongkong rund zwei Millionen Menschen für Freiheit und Demokratie. Foto: Wikimedia (CC BY 2.0) | Studio Incendo.

  • Die Polizei geht in Hong Kong gegen Demonstranten der Demokratiebewegung vor.

    Ebenfalls im Juni 2019 kommt es bereits zu ersten Straßenschlachten zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Die Polizei setzt Tränengas ein um die Demonstrierenden zurückzudrängen. Foto: Foto: Wikimedia (CC BY-SA 4.0) | Wpcpey.

  • Die Polizeit setzt im September 2019 Wasserwerfer gegen Demonstrierende ein.

    Im September 2019 kündigt Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam an, das umstrittene Auslieferungsgesetz zurückzuziehen. Tatsächlich geht es aber um noch viel mehr. Nämlich um die grundsätzlichen Forderungen nach Freiheit und Demokratie. Foto: Wikimedia (CC BY-SA 4.0) | Wpcpey.

  • Oktober 2019: Demonstrierende haben im hongkonger Stadteil Causeway Bay eine Straßenblockade aus brennenden Kartonagen errichtet.

    Oktober 2019: Demonstrierende haben im hongkonger Stadteil Causeway Bay eine Straßenblockade aus brennenden Kartonagen errichtet. Foto: Wikimedia (CC BY 2.0) | Studio Incendo

  • November 2019: Demonstrierende beim Versuch, eine Straßenblockade zu durchbrechen.

    November 2019: Demonstrierende beim Versuch, eine Straßenblockade zu durchbrechen. Nach wie vor präsent sind die Regenschirme, die bereits 2014 zum Symbol der Demokratiebewegung wurden. Foto: Wikimedia (CC BY 2.0) | Studio Incendo

  • Polizeikräfte versuchen, den Protest einzuhegen. Einer der Bereitschaftspolizisten trägt ein blaues Schrift mit der Forderung, eine nicht genehmigte Versammlung aufzulösen.

    Polizeikräfte versuchen, den Protest einzuhegen. Einer der Bereitschaftspolizisten trägt ein blaues Schild mit der Forderung, eine nicht genehmigte Versammlung aufzulösen. Foto: Wikimedia (CC BY 2.0) | Studio Incendo

  • Im Januar 2020 gingen erneut mehr als hunderttausend Menschen auf die Straßen, um für Demokratie zu demonstrieren.

    Im Januar 2020 gingen erneut mehr als hunderttausend Menschen auf die Straßen, um für Demokratie zu demonstrieren. Foto: Wikimedia (CC BY 2.0) | Studio Incendo

Das Chinesische Sicherheitsgesetz für Hongkong

Der Abschied von der Rechtsstaatlichkeit

Wie berechtigt die Sorge der Demokratieaktivisten vor einer allmählichen Abschaffung des liberalen Systems war, sollte sich bereits wenige Monate später zeigen. Am 30. Juni 2020 beschloss der Nationale Volkskongress – ohne zuvor die Legislative Hongkongs konsultiert zu haben – die Einführung des Chinesischen Sicherheitsgesetzes für Hongkong, welches noch am selben Tag in Kraft trat. Mit dem Gesetz erhielten chinesischen Sicherheitsbehörden Befugnisse zur Operation in Hongkong. Zugleich wurden mit Verweis auf die „nationale Sicherheit“ Straftatbestände für „Sezession“, „Untergrabung der Staatsmacht“, „terroristische Handlungen“ und die „Zusammenarbeit mit externen Mächten“ eingeführt.

Besonders problematisch ist, dass für die genannten Strafbestände keine rechtssicheren Definitionen existieren. Die Kommunistische Partei kann in willkürlicher Manier darüber entscheiden, ob Handlungen als Gefahr für die „nationale Sicherheit“ eingestuft werden. Bereits am Tag nach Inkrafttreten des Gesetzes wurden von der Polizei mehr als 300 Demonstrierende verhaftet. Seit Inkrafttreten des Gesetzes kam es immer wieder zur Festnahme von Menschen, die ihre Grundrechte auf Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit wahrnahmen. Die Festnahmen sind auch deshalb so gravierend, weil mit dem Sicherheitsgesetz eine Umkehr der Beweislast vorgenommen wurde: Wer verhaftet wird, muss beweisen können, „keine weiteren Handlungen zur Gefährdung der nationalen Sicherheit“ begehen zu werden.

So ist die Lage in Hongkong heute

Von der einstigen Freiheit ist kaum etwas geblieben

Im März 2024 verabschiedete Hongkongs gesetzgebende Versammlung ein neues Sicherheitsgesetz. Mit diesem werden die Befugnisse der Sicherheitsbehörden weiter ausgedehnt und die Freiheit der Menschen in Hongkong wird weiter begrenzt. Unter anderem sieht das Gesetz die Einführung neuer Straftatbestände vor, die als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft werden. Bei Vorwürfen wie Hochverrat oder Auflehnung gegen den Staat drohen künftig lebenslange Haftstrafen. Auch bereits der Besitz von Publikationen, in denen Hongkongs Unabhängigkeit von China gefordert wird, kann mehrjährige Haftstrafen nach sich ziehen. Zudem bekommt die Polizei mit dem Gesetz zusätzliche Befugnisse um gegen Verdächtige zu ermitteln oder diese festzusetzen.

Autor: Internetredaktion LpB BW | letzte Aktualisierung: April 2024

Cookieeinstellungen
X

Wir verwenden Cookies

Wir nutzen auf unseren Websites Cookies. Einige sind notwendig, während andere uns helfen, eine komfortable Nutzung diese Website zu ermöglichen. Einige Cookies werden ggf. für den Abruf eingebetteter Dienste und Inhalte Dritter (z.B. YouTube) von den jeweiligen Anbietern vorausgesetzt und von diesen gesetzt. Gegebenenfalls werden in diesen Fällen auch personenbezogene Informationen an Dritte übertragen. Bitte entscheiden Sie, welche Kategorien Sie zulassen möchten.