Reichsbürger

Reichsbürger nennen sich selbst so und glauben, die Bundesrepublik Deutschland gebe es nicht. In Wahrheit sei der Staat eine Firma. Es gibt Reichsbürger, die ihre eigenen „Hoheitsgebiete“ vor Ort errichten, indem sie „Scheinstaaten“ ausrufen, eigene Reiche gründen und sich selbst zum König ernennen. Die Ideologie kann gefährliche Auswüchse für die Allgemeinheit hervorbringen.  

In den vergangenen Jahren hat die Szene der „Reichsbürger“ eine immer größer werdende Aufmerksamkeit erfahren. 2016 kam es zum Beispiel zu gewaltsamen Konflikten zwischen einem Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Sachsen-Anhalt und dem „Reichsbürger“ Adrian U., dessen Scheinstaat „Ur“ nach einem Gerichtbeschluss zwangsgeräumt werden sollte. Ein SEK-Beamter wurde dabei durch eine Schusswaffe am Hals schwer verletzt.

Im Jahr 2014 gründete auch Adrian Ursache auf seinem und dem Grundstück seiner Schwiegereltern in Reuden den Scheinstaat „Ur“ und machte sich damit die Ideologie der Reichsbürgerbewegung zu eigen. Ursache selbst bestreitet allerdings, ein „Reichsbürger“ zu sein (Quelle: Wikipedia). Noch im selben Jahr kam es erstmals zu einem Todesfall durch einen „Reichsbürger“. Wolfgang P., der zum Unterstützerkreis von "Ur" zählte, erschoss einen bayerischen SEK-Beamten bei der Beschlagnahmung seiner Waffen. Auch in Baden-Württemberg zog ein Reichsbürger bundesweit die mediale Aufmerksamkeit auf sich. Der rechtsesoterische „Reichsdruide“ Burghard B. aus Schwetzingen wurde 2017 von der Bundesanwaltschaft verhaftet. Vorwurf war die Gründung einer Terrorzelle, bei welcher der vermeintlich harmlose und verworrene Druide beteiligt war. Seit dem Frühjahr 2016 habe die bundesweit vernetzte Zelle geplant, bewaffnete Angriffe auf Repräsentanten des Staates, Asylsuchende und Juden auszuführen.

Bei einer Verkehrskontrolle in Efringen-Kirchen (Baden-Württemberg) war im Februar 2022 ein Autofahrer wegen deutlich erhöhter Geschwindigkeit aufgefallen, die eine Trunkenheit des Fahrers vermuten ließ. Dieser entzog sich der Kontrolle der Beamten durch Flucht. Als er gestoppt werden konnte, fuhr er einen der Polizeibeamten frontal um, er selbst wurde durch Schüsse verletzt und festgenommen. Bei der Durchsuchung der Wohnung des festgenommenen Mannes wurden eindeutige Hinweise ermittelt, die dem 61-Jährigen Verbindungen zu den sogenannten Reichsbürgern bescheinigen.

Bei einem Einsatz der Polizei im April 2022 sollte unter Mitwirkung eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Boxberg-Bobstadt (Baden-Würrtemberg) eine Waffe beschlagnahmt werden. Ein 54-jähriger Mann widersetzte sich der Durchsuchung. Dabei wurden mehrere Schüsse abgegeben, ein Beamter erlitt eine Schussverletzung am Bein und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Das Anwesen geriet wenig später in Brand. Es gab konkrete Hinweise aus der Bevölkerung, dass der festgenommene Mann der sogenannten Reichsbürger-Szene zuzurechnen sei.

Im Zuge der größten Durchsuchungsaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik gegen die "Reichsbürger"-Szene rückten im Dezember 2022 bundesweit Polizeieinheiten an, darunter GSG9-Spezialkräfte der Bundespolizei, und durchsuchten mehr als 130 Häuser, Wohnungen und Büros in elf Bundesländern. 51 Personen galten als Beschuldigte. Sie stehen im Verdacht, eine terroristische Vereinigung gegründet oder diese unterstützt zu haben. Die Gruppierung soll geplant haben, die staatliche Ordnung gewaltsam zu beseitigen und mit Waffengewalt einen Umsturz herbeizuführen. Zu den mutmaßlichen Verschwörern sollen ein Prinz, eine Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin, ein ehemaliger AfD-Stadtrat aus Sachsen sowie mehrere Ex-Bundeswehrsoldaten, darunter ehemalige Angehörige des Kommando Spezialkräfte (KSK) gehören. Nach bisherigen Erkenntnissen soll es unter anderem um einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag gegangen sein, um ein bald bevorstehendes Kriegsrecht und die Ausrufung einer neuen Regierung sowie die Gründung einer neuen deutschen Armee.

Spätestens seit diesen Fällen werden Reichsbürger längst nicht mehr als eine verschrobene Randerscheinung verwirrter Einzelpersonen angesehen, sondern als ernsthafte Bedrohungen für den Staat und seine Bürger. Deshalb werden  Reichsbürger seit 2016 auch vom Verfassungsschutz beobachtet. Allein in Baden-Württemberg  gehören dem Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ derzeit schätzungsweise 3.200 Personen an, bundesweit geht der Verfassungsschutz von ca. 20.000 Personen aus .  (Quellen: Zeit Online  Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg  Bundesamt für Verfassungschutz).

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Woran glauben die "Reichsbürger"?

Bei der Szene handelt es sich allgemein um Gruppen, aber auch Einzelpersonen, die aus unterschiedlichsten Motiven die Existenz der Bundesrepublik Deutschland  leugnen. Begründet wird dies unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, das 1945 nicht untergegangen sei, auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder auf ein selbstdefiniertes Naturrecht. „Reichsbürger“ begreifen sich als die „wahren Bürger“ des deutschen Staats, während die demokratisch gewählten Repräsentanten wie auch das Rechtssystem als illegitim angesehen werden. Probleme bereiten sie, indem sie die Zahlung von Steuern oder Bußgelder verweigern, eigene Dokumente wie einen „Reichspersonalausweis“ erstellen und verkaufen oder sich gegen Vertreter von Staat und Justiz auflehnen. Oftmals agieren Reichsbürger wie die sogenannten Selbstverwalter, die seit 2010 vom Verfassungsschutz der Szene zugeschrieben werden. Sie behaupten, durch einseitige Erklärungen aus der BRD austreten zu können und errichten eigene lokale „Hoheitsgebiete“. Anstelle bundesdeutscher Gesetze sollen in diesen Gebieten die aufgestellten Regeln der „Reichsbürger“ gelten.

Argumentationslinien und Verschwörungsideologien der "Reichsbürger"

„Reichsbürger“ zweifeln an der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und führen fast immer zwei Hauptthesen an. Deutschland sei nach wie vor von den Alliierten besetzt und habe weder eine gültige Verfassung noch einen Friedensvertrag. Die andere Argumentationslinie der Reichsbürger ist die Theorie der sogenannten „BRD-GmbH“, nach welcher Deutschland eine Firma sei.

Für die These, dass das Grundgesetz keine richtige Verfassung sei, wird oft Art. 146 GG (alte Fassung) zitiert (siehe lexetius.com). Das Grundgesetz gelte demnach zunächst nur für die westdeutschen Bundesländer und verliere seine Gültigkeit, wenn eine neue Verfassung vom gesamtdeutschen Volk beschlossen werde. Mit der Wiedervereinigung wurde jedoch das Grundgesetz beibehalten und der Art. 146 GG wurde mit einem Relativsatz ergänzt, der festlegte, dass das Grundgesetz für das gesamte deutsche Volk gilt. Anstelle einer neuen Verfassung wurde das Grundgesetz beibehalten. Trotz des provisorischen Charakters vor der Wende spricht nichts dagegen, dem Grundgesetz die Rolle einer Verfassung zuzugestehen.
Völkerrechtlich  ist  eine  Verfassung  die  Gesamtheit  der  geschriebenen  und  ungeschriebenen  Rechtssätze  über  den  Aufbau  eines  Staates,  seine  Organe  und  die  Rechte  der  Bürgerinnen und Bürger gegenüber  dem  Staat.  Das Grundgesetz erfüllt alle diese Anforderungen. Auch im wegweisenden „Lüth-Urteil“ (BVerfGE  7,  198,  208)  vom  15.  Januar  1958  wurde deutlich gemacht, dass die Werteausrichtungen der deutschen Verfassung im Grundgesetz zu finden sind  (Quelle: Bundesverfassungsgericht).

Die These der „Reichsbürger“, die Bundesrepublik habe keine vollständige Souveränität, war hingegen bis zur Wiedervereinigung nicht unbegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Siegermächte mehrere Rechte behalten, um auf Deutschland einzuwirken. Auch ein Friedensvertrag wurde offiziell nicht abgeschlossen. Erst im Jahr 1990 verzichteten die ehemaligen Siegermächte auf diese Rechte. Mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990 beschlossen die Bundesrepublik und die DDR gemeinsam mit den USA, der Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien, die vollständige innere und äußere Souveränität Deutschlands wiederherzustellen. Der Wiedervereinigung Deutschlands stand damit nichts mehr im Weg. Somit erfüllte der Vertrag alle politisch geforderten und rechtlich erforderlichen Bedingungen  für eine Friedensordnung (BpB: Zwei-Plus-Vier-Vertrag ).

Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag hat also de facto die Funktion eines Friedensvertrags eingenommen, wurde aber nicht so bezeichnet. Dieser Umstand ist auf ganz pragmatische und finanzielle Gründe zurückzuführen: Mit einem „Friedensvertrag“ hätte man alle ehemaligen Kriegsgegner Deutschlands aus dem Zweiten Weltkrieg an den Tisch bringen müssen. Auch hätte Deutschland völkerrechtlich noch eventuell ausstehende Reparationszahlungen an einzelne Drittstaaten tätigen müssen. Schadensersatzforderungen aus Staaten wie Griechenland, die im Zweiten Weltkrieg unter dem Einmarsch der Nazis Zerstörung und Gräueltaten erleiden mussten, wurden damit abgewiesen.

Anhänger der „BRD-GmbH“-Theorie glauben hingegen, die Bundesrepublik Deutschland sei in Wahrheit eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Deutschland sei also kein Staatsgebilde, sondern eine Firma. Als vermeintlicher Beweis für diese These wird der Eintrag des Unternehmens „Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH“ im Frankfurter Handelsregister angeführt. Wir, die Bundesbürger, seien demnach lediglich das Personal dieser GmbH. Schon allein die Tatsache, dass wir einen Personalausweis und keinen „Bürgerausweis“ besitzen, weise unmissverständlich darauf hin, so die Anhänger der „BRD-GmbH“-Theorie.

Tatsächlich handelt es sich bei dem Registereintrag lediglich um ein Dienstleistungsunternehmen des Bundesfinanzministeriums. Anders als oft behauptet wird, entscheidet die Agentur nicht selbstständig und hat klar definierte und beschränkte Aufgaben, die sie für den Bund erfüllt. Dazu gehört vor allem der Schuldenabbau durch Ablösung alter und Aufnahme neuer Kredite sowie die gewinnbringende Anlegung von überschüssigem Geld am Markt. Auch der Begriff „Personal“ beim Personalausweis lässt sich leicht erklären: Der Begriff leitet sich aus dem spätlateinischen „Personalia“ ab, was übersetzt „persönliche Dinge“ bedeutet. Der Personalausweis zielt also nicht darauf ab, die Träger als Angehörige des Personals zu betiteln, sondern enthält dessen persönliche Daten.

Organisation, Merkmale und Gefahrenpotential der "Reichsbürger"

Bei den Reichsbürgern handelt es sich um eine vielschichtige und unübersichtliche Bewegung. Das zeigt sich in den zahlreichen Gruppierungen, die sich die unterschiedlichsten Titel und Bezeichnungen gegeben haben.  Beispiele sind etwa die „Exilregierung Deutsches Reich“, die „Kommissarische Reichsregierung“ oder das „Königreich Deutschland“. Ebenso heterogen ist das Verhältnis der verschiedenen "Reichsregierungen" zueinander. Manche „Reichsbürger“-Gruppen kooperieren untereinander, andere stehen aber auch in Konkurrenz zueinander. Nicht selten kommt es vor, dass sich „Reichsbürger“-Gruppen nach internen Konflikten spalten und eine neue reichsideologische Gruppierung gründen.

Reichsbürger akzeptieren das aktuelle politische System nicht  oder fühlen sich nicht mehr ausreichend durch die Politik vertreten. Die Motive dafür sind unterschiedlich, sie sind in Studien aber noch zu wenig erforscht. Dennoch gibt es genug Zahlen, um den durchschnittlichen „Reichsbürger“ beschreiben zu können. Die Szene der „Reichsbürger“ ist überwiegend männlich dominiert und als lebensälter zu beschreiben. Drei Viertel  der  „Reichsbürger“ sind Männer und älter als 40 Jahre. Bildung scheint kein entscheidendes Kriterium für das „Reichsbürgertum“ zu sein. Vielmehr eint die „Reichsbürger“ der Umstand, dass sie in der Vergangenheit häufig berufliche oder private Schicksalsschläge erleiden mussten. Viele der Betroffenen sind auch Opfer von sogenannten „Milieumanagern“, die gezielt mit ihren Verschwörungstheorien Menschen weiter verunsichern. Wie in professionellen Sekten verdienen sie ihr Geld mit den Interessierten, zum Beispiel in Seminaren oder durch wertlose „Reichsbürger“-Papiere.

Nach Angaben des Verfassungsschutzes konnten 2021 insgesamt 21.000 „Reichsbürger und Selbstverwalter“ in Deutschland ausgemacht werden. Im Vergleich zur bundesweiten Gesamtbevölkerung erscheint die Zahl zunächst marginal. 2017 wurde die Zahl der „Reichsbürger“ aber noch mit 16.000 beziffert. Der Anstieg macht deutlich, wie mobilisierungsfähig die „Reichsbürger“ inzwischen geworden sind. Vor allem im Internet und in den sozialen Netzwerken sind sie sehr aktiv, bilden untereinander Gruppen und verbreiten ihre Ideologie. Gefährlich sind die „Reichsbürger“ durch ihre hohe Affinität zu Schusswaffen und ihre Aggressivität gegenüber staatlichen Vertretern oder Beamten. Obwohl alle „Reichsbürger“ Verschwörungstheorien anhängen und eine staatsablehnende Haltung einnehmen, wird nur  ein Teil der „Reichsbürger“ durch den Verfassungsschutz klar dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet. Nach Angaben des Verfassungsschutzes befinden sich unter schätzungsweise 33.000 Rechtsextremisten 1.150 „Reichsbürger“. Besonders dort ist antisemitisches und völkisches Denken stark präsent (Quelle: Verfassungsschutzbericht 2021

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