Antisemitismus und Verschwörungstheorien

Wenn es um die „bösen Mächte“ im Hintergrund geht, die nach den Verschwörungstheorien die Fäden in der Welt ziehen, wird häufig wieder ein uraltes Feindbild ausgepackt. Teilweise sehr direkt und unmissverständlich, teilweise aber auch nur indirekt und nicht sofort erkenntlich ist immer wieder von „den Juden“ die Rede, die global an den Schaltzentren der Macht sitzen sollen. Die Geschichte hat gezeigt, wie fatal derartige Verschwörungstheorien sein können. Warum sind auch heute ausgerechnet Juden in den meisten Verschwörungstheorien immer noch das Feindbild Nummer Eins?

Die lange Geschichte der Judenfeindlichkeit

Kaum eine andere Gruppe wurde in der Geschichte der Menschheit so oft für Verbrechen, Seuchen und Unheil aller Art verantwortlich gemacht wie Menschen jüdischen Glaubens. Schon in der vorchristlichen Zeit lässt sich Judenfeindlichkeit finden. Damals wurden den Juden in erster Linie die Selbstliebe und die Missachtung anderer Religionen vorgeworfen. Mit der Ablösung des Christentums vom Judentum spitzte sich der Konflikt zu. Es entstand ein Konkurrenzkampf zwischen beiden Religionen um Anhängerschaft und Anerkennung. Die Christen, die sich als „Verus Israel“ („Wahres Israel“) verstanden, warfen den Juden vor,  Jesus Christus verraten und gekreuzigt zu haben. Der Vorwurf als „Christus-Mörder“ hält sich teilweise bis heute, widerspricht aber der historischen Quellenbasis (Quelle: Welt Online).

Die Ausgrenzung der Juden wurde im Mittelalter konsequent weitergeführt. Auf kirchlichen Synoden und Konzilen wurden zahlreiche Gesetze erlassen, wie etwa ein Heiratsverbot zwischen Juden und Christen, die Vorschrift einer äußeren Kennzeichnung, die auf den jüdischen Glauben aufmerksam machen sollte, oder die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch gesonderte jüdische Viertel. Da die jüdischen Gemeinden als Folge dieser Restriktionen in der mittelalterlichen Gesellschaft nur wenig integriert waren, fiel es leicht, sie als Sündenböcke zu instrumentalisieren. Bei Seuchen, die nicht erklärt werden konnten, galten die Juden etwa als „Brunnenvergifter“ und wurden verfolgt. Weit verbreitet war auch die Ritualmordlegende. Als Feinde der Christenheit sollen Juden im Mittelalter hin und wieder Christen entführt und ermordet haben, um ihr Blut für magische oder medizinische Zwecke zu missbrauchen. Vor allem Kinder sollen angeblich ein beliebtes Opfer dieser rituellen Handlungen gewesen sein. Als Folge dieser Vorwürfe waren Menschen jüdischen Glaubens einer ständigen Existenzbedrohung ausgesetzt – Judenpogrome, bei denen Gewalt gegen Juden bis hin zum Mord ausgeübt wurde, setzten sich bis ins 20. Jahrhundert fort.

Der neue Antisemitismus

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der millionenfachen Ermordung von Juden durch das NS-Regime wurde der Antisemitismus in nahezu allen westlichen Gesellschaften mehrheitlich geächtet. Besonders in Deutschland hatte es der Antisemitismus aufgrund der historischen Verantwortung des Landes schwer, wieder Fuß zu fassen. Jedoch hat der Antisemitismus – vor allem im Netz in Verbindung zu Verschwörungstheorien – in den vergangenen Jahren wieder stark zugenommen   (Quelle: Tagesspiegel). Wie äußert sich dieser neue Antisemitismus?

Zunächst gibt es eine Veränderung der Sprache. Vorbehalte gegen Juden werden nicht mehr direkt geäußert. Kaum ist noch direkt die Rede von „den Juden“ oder „dem Weltjudentum“. Es werden stattdessen andere Begriffe verwendet, die aber auf ähnliche Vorstellungen hinauslaufen. So sind es zum Beispiel „die Zionisten“, „die zionistische Lobby“ oder „die Rothschilds“, die angeblich im Verborgenen die Welt kontrollieren. Diese bezeichnet man als Chiffren oder Codewörter, die den Antisemitismus verschleiern sollen. Häufig verbindet sich Antisemitismus auch mit Antiamerikanismus und vermeintlicher Kapitalismuskritik. So wird das „raffgierige Kapital“, die „Schaltzentren der amerikanischen Ostküste“ und teilweise auch die Investmentbank „Goldmann Sachs“ mit dem internationalen Finanzjudentum assoziiert. Antisemitische Verschwörungstheorien sind deshalb sowohl auf dem rechten als auch auf dem linken politischen Spektrum zu finden.

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Zionismus

Zionismus bedeutet das Streben nach einem unabhängigen jüdischen Staat. Das Wort leitet sich ab von Zion, dem Namen des Tempelberges in Jerusalem. Doch längst nicht alle Jüdinnen und Juden leben in Israel, und nicht alle Menschen, die in Israel leben, sind jüdisch.

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Eine weitere Erscheinungsform des neuen Antisemitismus ist die israelbezogene Judenfeindlichkeit. Israel sei nach den Verschwörungstheorien kein normaler Staat wie jeder andere, sondern habe eine Sonderstellung in der Welt. Durch angebliche Verbindungen zu den mächtigsten Akteuren der Welt habe Israel einen so großen Einfluss auf die Weltpolitik, die es sie angeblich maßgeblich bestimmen würde. Das Schlagwort „Zionist Occupied Government“, das von modernen Antisemiten gerne verwendet wird, spielt ebenfalls darauf an, dass eine Regierung von Israel fremdbeherrscht werde. Auch hierbei werden häufig antisemitische Chiffren wie „die Zionisten“ bedient, die mit ihrer ursprünglichen Bedeutung nichts gemein haben. Der israelbezogene Antisemitismus findet sich in allen Gesellschaftsschichten wieder, ist aber vor allem in islamisch geprägten Gesellschaften sehr präsent. Besonders in islamischen Verschwörungstheorien dient Israel und das damit assoziierte Judentum als das Feindbild Nummer Eins.

Nicht für jeden ist sofort erkennbar, was tatsächliche legitime Kritik am Finanzsystem oder an der israelischen Politik ist und was Antisemitismus ist. Kontrovers diskutierte und auch schwer zu durchschauende Themengebiete machen es Verschwörungstheoretikern und ihrer Komplexitätsreduzierung leichter, ihre antisemitischen Verschwörungsideologien zu verbreiten. Der moderne Antisemitismus ist deshalb kein ausschließliches Problem von strammen Neonazis und Holocaust-Leugnern, sondern reicht vom rechten und linken Spektrum bis in die Mitte der Gesellschaft hinein.
Die Universitäten in Bielefeld und Leipzig untersuchen seit Jahren die Verbreitung antisemitischer Einstellungen in Deutschland. 21,6 Prozent der von den Bielefelder Wissenschaftlern Befragten warfen den Juden 2018 vor, die Verbrechen der Nazis zu ihrem Vorteil ausnutzen zu wollen („sekundärer Antisemitismus“). 40 Prozent äußerten Verständnis dafür, dass Juden wegen der israelischen Politik abgelehnt würden. Und 25 Prozent verglichen die israelische Politik mit jener der Nazis.

BMI: Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen (2017)

Die Protokolle der Weisen von Zion

Eine Sonderstellung bei den antisemitischen Verschwörungstheorien nimmt das Buch „Die Protokolle der Weisen von Zion“ ein.

Die erste Version des Buches aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts stammt aus dem russischen Kaiserreich und soll angeblich eine Mitschrift des Zionismus-Kongresses von Basel aus dem Jahr 1897 sein. Demnach sei dort ausgiebig diskutiert worden, mit welchem Plan eine geheime jüdische Weltherrschaft herbeigeführt werden könne. Die „Protokolle“ wurden aber schon früh in den Jahren 1934/45 in einem Schweizer Gerichtsverfahren eindeutig als plumpe Fälschung entlarvt, da sie sich hauptsächlich auf fiktive Romantexte aus dem 19. Jahrhundert bezogen.

Dennoch entwickelten sich die „Protokolle“ im Laufe der Zeit zu einer Art „Bibel für alle Antisemiten“. Exemplare wurden in mehreren Sprachen weltweit verbreitet, in den USA ließ beispielsweise der Unternehmer Henry Ford auf eigene Kosten Auflagen drucken und verteilen. Die Nazis nutzten die Schrift später für ihre Propaganda und als Rechtfertigung für den Holocaust. Schon in „Mein Kampf“ bezog sich Adolf Hitler direkt auf die angebliche Echtheit der „Protokolle“, um seinen mörderischen Antisemitismus zu rechtfertigen. Auch für die Entstehung des Staats Israel wurde das Werk als Erklärungsgrundlage herangezogen. Die „Protokolle“ sind deshalb nicht nur in westlichen rechtsextremen Kreisen beliebt, sondern auch in der islamischen Welt weit verbreitet. Dort wird das Buch in erster Linie als Propagandainstrument gegen Israel eingesetzt.

In Deutschland sind die „Protokolle“ verboten und seit 2001 auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften zu finden. Wer das Buch verbreitet, wird wegen des Aufrufs zur Volksverhetzung strafrechtlich verfolgt.

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Antisemitische Verschwörungstheorien im Landtag von Baden-Württemberg: Der Fall Gedeon

Für bundesweites Aufsehen sorgte im Jahr 2016 der Fall des Abgeordneten Wolfgang Gedeon im Landtag von Baden-Württemberg. Der Politiker der Partei Alternative für Deutschland (AfD) hatte in seiner Vergangenheit Publikationen mit antisemitischem Gedankengut veröffentlicht, von denen er sich nicht distanzierte.

Unter dem Pseudonym „W.G. Meister“ veröffentliche Gedeon 2009 die dreibändige Monographie „Christlich-europäische Leitkultur. Die Herausforderung Europas durch Säkularismus, Zionismus und Islam“. Im zweiten Teil der Trilogie, „Über Geschichte, Zionismus und Verschwörungspolitik“, sind mehrere Abschnitte zu den „Protokollen der Weisen von Zion“ enthalten. Schon zu Beginn konstatiert Gedeon: „Die Protokolle sind mutmaßlich keine Fälschung“ (S. 466). Weiter heißt es: „Wer die Geschichte und Politik der letzten 100 Jahre betrachtet, muss konzedieren, dass viele der in den Protokollen aufgeführten Elemente und Praktiken schon tatsächlich umgesetzt wurden“ (S. 480).

Diese Ausführungen lassen sich kaum anders deuten, als dass der Autor an die Existenz einer jüdischen Weltverschwörung glaubt. Dass es sich hierbei nicht um einen „Ausrutscher“ des Autors handelt, zeigt die 2012 veröffentlichte Monographie „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten: Eine Kritik des westlichen Zeitgeists“. Im Gegensatz zum Vorgängerwerk wurde das Buch unter Gedeons Klarnamen veröffentlicht. Gedeon bekräftigt darin, seinen Glauben an den Wahrheitsgehalt der „Protokolle“. Weiter schreibt er, dass es „[…] aber nirgendwo ersichtlich [wird], dass die Urheber der Protokolle, die auch auf dem Baseler Zionistenkongress von 1897 nicht offen, sondern nur in einer geheimen Parallelveranstaltung aufgetreten sind, in irgendeiner Weise repräsentativ für das jüdische Weltkollektiv wären“ (S. 277 f.). Nach diesem Satz meint Gedeon die Autoren der Protokolle zu kennen, nennt aber keine Belege. Weiterhin seien nicht „die Juden“, sondern „Zionisten“ die Urheber der „Protokolle“.

Nach Armin Pfahl-Traughber und weiteren Gutachten (Quellen:   haGalil.com   Israel Nation News) ist Gedeons Differenzierung zwischen „Juden“ und „Zionisten“ aber nicht glaubwürdig. Die Funktion der „Protokolle“ als judenfeindliches Pamphlet und Fälschung ist historisch eindeutig belegt. Begriffe wie das „jüdische Weltkollektiv“ sind untrennbar mit dem Glauben an eine jüdische Weltverschwörung verbunden. Werke, auf die sich Gedeon in seinen Publikationen bezieht, sind zudem eindeutig dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen.
Nach Werner J. Patzelts Einschätzung ist Gedeons Position ausdrücklich antizionistisch, und zwar darin, dass er das Handeln des Staates Israel sowie jüdischer Netzwerke als abträglich für Deutschland und die internationalen Beziehungen ansieht  (Quelle: Werner J. Patzelt: Gedeon und der Antisemitismus).

Als Reaktion auf die Antisemitismusvorwürfe veranlasste der damalige AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen ein Fraktionsausschlussverfahren gegen Gedeon. Allerdings konnte die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit in der Fraktion nicht erreicht werden. Wegen der Differenzen im Umgang mit der „Causa Gedeon“ spaltete sich die AfD-Landtagsfraktion 2016 in die beiden Fraktionen „Alternative für Deutschland“ und „Alternative für Baden-Württemberg“. Noch im selben Jahr trat Gedeon aber freiwillig aus der ursprünglichen AfD-Fraktion aus. Mittlerweile sind beide Fraktionen wiedervereint.
Im Frühjahr 2018 machte Gedeon erneut auf sich aufmerksam, als er forderte, Stolpersteine zum Gedenken der NS-Opfer abzuschaffen. Wochen zuvor bezeichnete Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, Gedeon in einem Zeitungsartikel als „Holocaust-Leugner“. Gedeon klagte dagegen, im Januar 2018 entschied aber das Landgericht Berlin, dass eine Bezeichnung des AfD-Politikers als „Holocaust-Leugner“ unter den Schutz der freien Meinungsäußerung fällt (Quelle: Zeit Online).

Erst im März 2020 hat das Bundesschiedsgericht der AfD entschieden, Wolfgang Gedeon aus der Partei auszuschließen. Mit seinen antisemitischen Äußerungen habe er das Ansehen der Partei stark beschädigt, hieß es in der Begründung. Gedeon war anschließend bis zum Ende der Legislaturperiode einzelner und parteiloser Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg  (Quelle: Zeit Online).

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