Zarenreich und Februarrevolution 1904-1916
Wie kam es zur Oktoberrevolution?
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Die Machtergreifung der russischen Bolschewisten 1917 hat den Lauf der Weltgeschichte verändert. Dieses Dossier erklärt die Ursachen, den Verlauf und die Ergebnisse der Oktoberrevolution. Dabei kommt auch der vorhergehenden Februarrevolution eine besondere Bedeutung zu.
Wenig Zeit? Die Revolution kurz & knapp:
Zusammenfassung: Was führte zur Revolution? 1904-1916
Zusammenfassung: Die Februarrevolution 1917
Zusammenfassung: Die Oktoberrevolution 1917
Zusammenfassung: Der Rote Terror
Zusammenfassung: Folgen - Veränderungen durch die Bolschewiki
Zusammenfassung: Folgen - Bürgerkrieg und Matrosenaufstand
Die Spätphase des Zarenreiches
Die gescheiterte erste Revolution
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Die Gründe für die revolutionären Ereignisse des Jahres 1917 in Russland sind nur zu verstehen, wenn man die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in der Spätphase des Zarenreiches kennt.
Arme Bauern, reiche Großgrundbesitzer
Anfang des 20. Jahrhunderts war Russland noch in großen Teilen ein Agrarstaat. Die Befreiung der Bauern aus der Leibeigenschaft im Jahre 1861 hatte die sozialen Gegensätze auf dem Land nicht merklich mindern können. Viele Bauern konnten vom Ertrag der kleinen Flächen, die sie bewirtschafteten, nicht leben. Zudem war die Landwirtschaft in Zentralrussland meist weniger intensiv als in Westeuropa.
Wohnverhältnisse und Ernährung der Bauern waren überwiegend schlecht und die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei 40 Jahren. Demgegenüber war der Lebensstandard der Großgrundbesitzer sehr hoch. Sie verpachteten oft ihr Land an die Bauern, allerdings zu einem hohen Pachtzins. Zwischen 1900 und 1914 vergrößerte sich sogar die Fläche des durch Gutsbesitzer bewirtschafteten Ackerlandes in Russland um fast ein Drittel. Gestiegene Getreidepreise machten es für die Großgrundbesitzer wieder attraktiv, ihr Land selbst zu bewirtschaften. Dadurch verloren viele Bauern die von ihnen gepachteten Flächen. Verschärft wurde diese Situation durch ein hohes Bevölkerungswachstum in Russland, das fast so doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt war. So war um 1914 die materielle Lage zahlreicher russischer Bauern schlechter als in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts.
Die Folge: Die Bauern fliehen in die Städte, die Arbeiter protestieren
Durch die beginnende Industrialisierung wanderten viele Bauern in die Städte ab. Innerhalb eines halben Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung in den Städten von 7 auf 28 Millionen. Dort erhöhten sich um 1900 die sozialen Spannungen. Die Lebensverhältnisse vieler Arbeiter waren katastrophal. Die meisten lebten in Elendsvierteln. Die Wohnverhältnisse waren sehr beengt und oft mussten sich mehrere Personen ein Zimmer teilen. Die Arbeitszeiten waren nicht geregelt und Arbeitswochen mit 50 oder mehr Stunden waren normal.
1904 kam es aus Protest gegen die soziale Lage der Arbeiter zu Massenstreiks in Petersburg, das damals Hauptstadt Russlands war. Daraus wurde schnell ein politischer Protest, der sich nicht nur gegen die Ausbeutung der Arbeiter richtete, sondern auch Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit einforderte.
Video_Oktoberrevolution_Teil1
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Der Blutsonntag 1905 - die Proteste radikalisieren sich
Am 9. Januar 1905 zog eine riesige Menschenmenge in Petersburg friedlich zum Winterpalais, dem Sitz des Zaren, wo sie diesem ihre Bittschrift übergeben wollten. Darin schrieben sie:
„Wir sind verelendet, wir sind unterdrückt, über unsere Kraft mit Arbeit überlastet……Wir ersticken unter der Despotie und Rechtlosigkeit“.
Doch vor dem Palast schossen die Wachmannschaften auf die Demonstranten und es kamen über 100 Menschen um Leben. Dieser „Blutsonntag“ radikalisierte die Protestbewegung und die Revolution breitete sich über ganz Russland aus.
Die Proteste wurden auch von der politischen Opposition, sowohl von Liberalen wie auch Sozialdemokraten und Sozialrevolutionären unterstützt. Während aber liberale Parteien nur eine Begrenzung der Macht des Zaren durch politische Reformen forderten, waren die Ziele der linken Parteien der Sturz der Zarenherrschaft und eine soziale Revolution.
Die Proteste breiteten sich über das ganze Land aus und erfassten auch einen Teil der russischen Bauern. Vor allem in Zentralrussland kam es zu zahlreichen Übergriffen gegen Großgrundbesitzer und Landbesetzungen. Der amerikanische Konsul in Batumi berichtete:
„Russland ist durchtränkt von Aufruhr und riecht nach Revolution…. Soweit zu sehen ist, sind wir schon weit auf dem Weg in totale Anarchie und soziales Chaos.“
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Im neuen Parlament waren zarentreue Kräfte in der Mehrheit
Im Oktober 1905 erfüllte der Zar eine Forderung der Demonstranten durch die Einberufung eines Parlamentes, der Duma. Damit kam er den liberalen und bürgerlichen Kräften entgegen und reagierte zugleich auf die Niederlage Russlands im Krieg gegen Japan im selben Jahr, die die Kritik an der Regierung noch verstärkt hatte. Die sozialen Forderungen der Arbeiter wurden dagegen nicht erfüllt.
Die Arbeiter organisierten im Dezember 1905 einen Aufstand in Moskau, der mit Waffengewalt niedergeschlagen wurde. Die Erhebung der Arbeiter nutzte der Zar als Begründung für die Einschränkung der Rechte der erst neu gegründeten Duma. Im Jahr 1906 kam es bei den ersten Duma Wahlen zu einem deutlichen Sieg der Reformkräfte über die konservativen, zarentreuen Parteien. Daraufhin löste der Zar die Duma auf und begünstigte durch eine Änderung des Wahlrechtes die Konservativen, die bei erneuten Wahlen dadurch die Mehrheit erhielten. So wurde die Duma bis 1916 weitgehend von zarentreuen Kräften beherrscht.
Alte Verhältnisse, neue Unzufriedenheit
Nach 1905 gelang es dem russischen Staat, seine Macht wieder zu stabilisieren, allerdings verstärkte sich die Unzufriedenheit in Teilen der Gesellschaft. Dies galt vor allem für die Arbeiter, die Intellektuellen und Teile des liberalen Bürgertums. Aber auch viele Bauern waren unzufrieden, dass ihre Forderung nach einer umfassenden Neuverteilung des Landes nicht erfüllt wurde
Unter dem Premierminister Stolypin versuchte die russische Regierung ab 1906, durch verschiedene Reformen einen bäuerlichen Mittelstand zu schaffen, Bauern aus dem dicht besiedelten Zentralrussland als Kolonisten in die Weiten Sibiriens und Zentralasiens zu locken und den Einfluss der Großgrundbesitzer zu beschränken. Stolypin war kein Liberaler, sondern dem Zar treu ergeben. Allerdings erkannte er die wachsende Unzufriedenheit der Bauern.
Stolypin wollte eine erneute Revolution verhindern, aber er stieß auf massiven Widerstand bei den Großgrundbesitzern, Teilen der Administration und der Kreise um Zar Nikolai. 1906 sagte er:
„Ich kämpfe an zwei Fronten. Ich kämpfe gegen die Revolution, aber für die Reform“.
Seine Reformen zeigten bereits erste Erfolge, als er im September 1911 durch einen Sozialrevolutionär, der auch Verbindungen zum russischen Geheimdienst hatte, ermordet wurde. Mit dem Tod Stolypins kamen die Reformbemühungen in Russland zum Stillstand.
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Parteienlandschaft zwischen Revolution und Weltkrieg
Die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg waren im Zarenreich durch eine weiter stark voranschreitende Industrialisierung gekennzeichnet. Es gelang Russland, einen Teil des wirtschaftlichen Rückstandes gegenüber den anderen europäischen Staaten einzuholen. Da jedoch soziale Reformen nach der Revolution weitgehend ausgeblieben waren, verschlechterte sich die schwierige Lage der russischen Arbeiter weiter.
Innerhalb dieses neuen Proletariats wuchs die Anhängerschaft der progressiven Parteien, die sich zu diesem Zeitpunkt schon in die sozialdemokratischen Menschewisten und die radikal-sozialistischen Bolschewisten geteilt hatten.
Menschewisten bedeutet auf russisch „Minderheitler“ (Menschewiki) und Bolschewisten „Mehrheitler“ (Bolschewiki) und geht auf eine Abstimmung über die Zukunft der Parteiorganisation zurück, bei der die Bolschewisten die Mehrheit erhielten. Die Menschewisten lehnten die Herrschaft des Zaren ebenso klar ab wie die Bolschewisten, doch im Gegensatz zu diesen waren sie bereit, mit liberalen und bürgerlichen Kräften zusammenzuarbeiten. Außerdem hielten die Menschewisten den Zeitpunkt für eine sozialistische Revolution noch nicht für gekommen und organisierten ihre Parteistruktur demokratisch und nicht zentralistisch wie die Bolschewiken. Im Gegensatz zu den Bolschewiki lehnten sie auch eine führende Rolle der Partei in einer Revolution ab. Die Bolschewiki organisierten sich dagegen zunehmend als straff geführte Funktionärspartei.
Der Erste Weltkrieg
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Die Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren durch zunehmende Konflikte zwischen den europäischen Großmächten gekennzeichnet. Der Kriegsbeginn im Sommer 1914 wurde im Zarenreich, ebenso wie in anderen europäischen Ländern, von Teilen der Mittelschichten begeistert begrüßt. Bei den russischen Bauern gab es dagegen, nach Augenzeugenberichten, kaum Begeisterung.
Russland trat auf der Seite Frankreichs und Englands in den Krieg ein. Die Parteien, einschließlich der Mehrheit der Linken, unterstützen den Krieg des Zarenreiches gegen die Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn und die Türkei). Nur die Bolschewiki stellten sich von Anfang an entschieden gegen den Krieg.
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Die Kriegsunterstützung schwindet
Die Unterstützung für den Krieg wurde in der Bevölkerung schwächer, als die russische Armee schwere Niederlagen gegen die Deutschen erlitt. Ab Herbst 1916 verschlechterte sich die Versorgung der Bevölkerung immer mehr. Der russische Landwirtschaftsminister Kriwoschein warnte:
„Krankheit, Elend und Armut breiten sich über ganz Russland aus. Die hungernden Massen säen überall Panik.“
Dagegen war der Zar für die Lage im Land blind. Er verkannte die Stimmung in der Bevölkerung und erinnerte an den russischen Sieg gegen Napoleon:
„Das russische Volk ist in seinem Siegeswillen ebenso einmütig wie 1812.“
Es kam zu ersten Demonstrationen und Streiks der Arbeiter in den Städten. In der Duma, die lange von zarentreuen Parteien beherrscht wurde, wurde nun die Kritik an der autokratischen Zarenherrschaft immer deutlicher ausgesprochen.
Der Vorsitzende der liberalen Partei der „Kadetten“ thematisierte in einer viel beachteten Rede die offensichtliche Unfähigkeit des Regimes, die Versorgung der Bevölkerung und die Unterstützung für die russische Armee effektiv zu organisieren. Er zählte die Fehler des Zaren und seiner Regierung einzeln auf und fragte nach jedem Punkt:
„Ist es Dummheit oder Verrat?“
Kurz & knapp: Die Spätphase des Zarenreichs
Der Bevölkerung ging es nicht gut
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zogen die armen Bauern in die Städte. In den Städten war die Lage der Arbeiter jedoch ebenfalls katastrophal.
Die Radikalisierung beginnt
1904 begannen die ersten Proteste in Petersburg gegen die sozialen Missstände. Sie wandelten sich schnell zu einem politischen Protest für Meinungsfreiheit. 1905 schossen Wachmänner am sogennanten Blutsonntag auf Demonstranten, woraufhin sich die Proteste radikalisierten. Zwar bildete sich 1905 ein Parlament, die Duma, doch die Mehrheit unterstützte den Zar. Reformbemühungen scheiterterten. Die revolutionsbefürwortende und radikale Partei der Bolschewisten formte sich.
Während des Ersten Weltkriegs schwand die Unterstützung des Volkes für den Krieg, da sich auch die soziale Lage zunehmend verschlechterte.
Die Februarrevolution 1917 und weitere Aufstände
Die Demokraten scheiterten
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Der Protest der Arbeiterinnen
Im besonders harten Winter 1916/17 eskalierte die Lage in Russland. Ausgangspunkt der Unruhen waren Demonstrationen von Fabrikarbeiterinnen in Petrograd (die russische Hauptstadt Petersburg wurde zu Beginn des Krieges in Petrograd umbenannt), die nicht mehr wussten, wie sie ihre Familien ernähren sollten. Ihnen schlossen sich in den letzten Februartagen 1917 Tausende Arbeiter an.
Am 25. Februar 1917 wälzte sich ein Demonstrationszug von über hunderttausend Arbeiterinnen und Arbeitern aus den Vorstädten in die Petrograder Innenstadt. Auf Plakaten und in Sprechchören wurden Demokratie und der Rücktritt des Zaren gefordert. Als die Demonstranten in das Zentrum strömten, versuchte die Polizei sie mit Waffengewalt aufzuhalten.
Es gab Dutzende von Toten, doch schon in den folgenden Tagen schwollen die Massendemonstrationen weiter an. Das Militär schloss sich den Aufständischen an und lieferte sich Gefechte mit der Polizei. Viele der Soldaten waren Bauern und Arbeiter und hatten Verständnis für die Forderungen der Demonstranten.
Teil 2: Februarrevolution
Der Zar dankt ab
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Der Zar hatte lange das revolutionäre Potenzial der Proteste in Petrograd unterschätzt. Als er Ende Februar erkannte, wie gefährlich der Aufstand in für sein Regime wurde, gab er den Befehl, Truppen in die Hauptstadt zu senden, um die Demonstrationen niederzuschlagen. Doch die Waggons mit den zarentreuen Regimentern wurden von aufständischen Eisenbahnarbeitern an der Fahrt nach Petrograd gehindert. Dort hatten die Revolutionäre die Kontrolle über die Stadt gewonnen. Auch in vielen anderen Städten, insbesondere in Moskau, kam es zu Streiks und Demonstrationen gegen die Herrschaft Nikolais.
Am 2. März 1917 musste der Zar auf Druck der Armeeführung abdanken. Den Generälen war bewusst geworden, dass Nikolai nicht mehr an der Macht zu halten war. Zwar hatten sie meist wenig Sympathie für die Demokratie, aber sie sorgten sich um die Verteidigungsfähigkeit Russlands, falls Nikolai mit Waffengewalt gegen die aufständischen Soldaten in Petersburg vorgehen sollte.
Es ist bezeichnend für Nikolais enge Beziehung zum Militär, dass er dem Druck des Oberbefehlshabers widerstandslos nachkam. Auch Nikolais Bruder verzichtete auf die Krone. Das Ende der Romanow Dynastie war, nach 300 Jahren Herrschaft über Russland, besiegelt.
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Die Doppelherrschaft: Rat und Regierung existieren parallel
Anstelle der Herrschaft des Zaren trat ein neues politisches System. Grundsätzlich lag die Macht beim Petrograder Sowjet (russ.: Rat), dem Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten der Hauptstadt. Die Deputierten des Sowjets wurden direkt gewählt. Der Sowjet übernahm nicht selbst die Regierung, sondern duldete eine bürgerlich liberal-konservative Regierung. Ministerpräsident würde Fürst Lwow, ein liberaler Gutsbesitzer und angesehener Politiker.
Der Sowjet legte die Grundlinien der Politik fest, überließ jedoch die praktische politische Ausgestaltung der Regierung. Allerdings überprüfte der Sowjet die Beschlüsse der Regierung. Der russische Politiker Gutschow schrieb 1917:
“Die Provisorische Regierung hat keine wirkliche Macht irgendwelcher Art und ihre Befehle werden nur so weit ausgeführt, wie es vom Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten gestattet wird.“
Die Arbeiter- und Soldatenräte im Petrograder Sowjet vertraten anfangs überwiegend sozialdemokratische und gemäßigt linke Positionen. Die Bolschewisten befanden sich eindeutig in der Minderheit. Da es mit dem Petrograder Sowjet und der Regierung zwei Machtpole nach der Februarrevolution in Russland gab, spricht man in diesem Zusammenhang auch von der „Doppelherrschaft“.
Weitere Informationen zum Rat und der Regierung
Weitere Informationen zum Rat und der Regierung
Nach der Gründung des Petrograder Sowjets bildeten sich in ganz Russland lokale Sowjets. Dabei war der Petrograder Sowjet aber weiterhin die oberste Autorität im Rätesystem. Er genoss die Unterstützung der großen Masse der Arbeiter und Soldaten. Doch die Weigerung der Petrograder Räte selbst die Kontrolle über Russland zu übernehmen, begünstigte die Entstehung einer Vielzahl regionaler Machtzentren in Russland. Grenzregionen wie Finnland und die Ukraine strebten nach Unabhängigkeit. Und viele der überwiegend von Russen besiedelten Provinzen und Regionen, vor allem in Südrussland und Sibirien, strebten nach Autonomie. Die Auflösungserscheinungen wurden im Laufe des Jahres 1917 immer stärker. Es zeigte sich, dass mit dem Zusammenbruch des zaristischen Staates die Klammer fehlte, die die russische Gesellschaft zusammengehalten hatte.
Die liberale Regierung war eigentlich nur eine provisorische Regierung, da sie bis zu ihrem Ende nie von einem Parlament bestätigt wurde. Die Duma war aufgelöst und die geplante Konstituierende Versammlung wurde niemals einberufen. Doch trotz ihres provisorischen Charakters und ihrer Abhängigkeit von den Petrograder Räten war die Regierung Lwow in den Wochen nach der Februarrevolution sehr aktiv. Versammlungs-, Rede- und Pressefreiheit wurden garantiert. Das allgemeine Wahlrecht wurde eingeführt, die Todesstrafe abgeschafft, die Diskriminierung von Religionen und Nationalitäten beseitigt und eine demokratische lokale Selbstverwaltung eingeführt.
Doch die provisorische Regierung konnte nicht die Versorgungslage in Russland bessern und schob die von den Bauern geforderte Neuverteilung des Landes hinaus. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wurde stärker. Für besonderen Unmut sorgte, dass Außenminister Miljukow, der Führer der liberalen „Kadetten“, einen Verständigungsfrieden mit Deutschland ausschloss und den westlichen Verbündeten die uneingeschränkte Fortsetzung des Krieges gegen Deutschland zusagte. Damit hatte sich Miljukow gegen die Position des Petrograder Sowjet gewandt, der einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen befürwortete. Der Außenminister und der Kriegsminister mussten nach Protesten des Petrograder Sowjet und der Bevölkerung zurücktreten. Im Mai 1917 wurden nun auch Politiker linker Parteien, wie der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre, in das Kabinett aufgenommen.
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Lenins Aprilthesen
Nach wie vor befand sich die Welt im Krieg. Da Russland den Krieg gegen die Mittelmächte fortsetzte, entfalteten die Bolschewisten nun eine rege Propaganda gegen die Regierung und ihre Kriegspolitik. Führer der Bolschewisten war Wladimir Iljitsch Lenin, der im April 1917 aus seinem Exil in der Schweiz nach Russland zurückgekehrt war.
Er schwor seine Partei auf eine kompromisslose Linie gegenüber der Regierung ein. In seinen sogenannten „Aprilthesen“ gab Lenin die ideologische Marschrichtung der Partei vor. In den „Aprilthesen“ lehnte Lenin eine Unterstützung der provisorischen Regierung ab, forderte einen klaren Bruch mit den Menschewisten und ein sofortiges Kriegsende, verlangte die Bewaffnung der Arbeiter und die Umverteilung des Landes.
Der Juli Aufstand in Petrograd (Sankt Petersburg)
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Ein Aufstand gegen den Krieg
Im Juni 1917 ordnete der neue Kriegsminister Alexander Kerenski eine Offensive gegen die Mittelmächte an. Als die Offensive gegen die Österreicher und Deutschen ins Stocken kam, wollte Kerenski auch die Soldaten der Petrograder Garnison an die Front einberufen.
Daraufhin kam es im Juli 1917 zu einem Aufstand von Soldaten, Matrosen und Arbeitern in Petrograd. Die Erhebung wurde allerdings durch regierungstreue Regimenter niedergeschlagen.
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Unter den Historikern ist bis heute umstritten, ob die Bolschewiki den Aufstand aktiv unterstützt haben oder sogar den Sturz der Regierung und die eigene Machtübernahme planten.
Der Aufstand fiel in sich zusammen. Der Schriftsteller Maxim Gorki, der im Februar noch die Revolution unterstützt hatte und die Ereignisse im Juli beobachtete, schrieb:
„ Es war offensichtlich, dass die Masse überhaupt keine Vorstellung davon hatte, weshalb sie auf die Straße gegangen war. Die Motive des Aufstands verstand niemand, nicht einmal ihre Führer“.
Die Bolschewisten mussten fliehen und wurden verhaftet
Insgesamt gibt es wenig Anhaltspunkte, dass der Führungszirkel der Bolschewiki um Lenin schon im Juli 1917 eine Machtübernahme plante. Für Lenin kam der Juli Aufstand ungeplant und zu früh. Auch sein Aufenthalt in Finnland, fernab Petrograds, spricht für diese These.
Lenin und andere führende Bolschewisten wurden aber von der Regierung als Verantwortliche für die Erhebung gesehen und mussten erneut in die Illegalität abtauchen oder ins Exil fliehen. In der bürgerlichen Presse Russlands wurden die Bolschewisten als Verräter bezeichnet, die mit der deutschen Regierung zusammenarbeiten würden. Als Beweis dafür wurde u. a. angeführt, dass Lenin mit deutscher Hilfe aus seinem Schweizer Exil bis nach Russland reisen konnte. Mehrere führende Politiker der Bolschewisten, darunter Kamenew und Trotzki, wurden verhaftet. Die bolschewistische Partei wurde verboten.
Hintergrund: Ein neuer Kriegsminister und kriegsmüde Soldaten
Hintergrund: Ein neuer Kriegsminister und kriegsmüde Soldaten
Als Reaktion auf die Ereignisse reichte Ministerpräsident Fürst Lwow seinen Rücktritt ein. Sein Nachfolger wurde der bisherige Kriegsminister Alexander Kerenski. Kerenski beschloss die Fortführung des Krieges gegen Deutschland und die anderen Mittelmächte, wobei er vollkommen unterschätzte, wie unpopulär die Weiterführung des Krieges in der Masse des Volkes war. Kerenski fühlte sich jedoch an die Zusagen gegenüber den Verbündeten England und Frankreich zur Fortsetzung des Krieges gebunden. Zudem hing Kerenski der Illusion an, dass eine Offensive gegen Deutschland die Bevölkerung einen und zur Solidarität mit der Regierung bewegen könne.
Die Kriegspolitik Kerenskis wurde vor allem von konservativen und nationalistischen Kreisen sowie Teilen des Bürgertums unterstützt. In diesen Bevölkerungsschichten genoss Kerenski bis zum August 1917 große Unterstützung. Viele seiner Anhänger sahen in Kerenski einen nationalen Führer. Auch liberale Kräfte wie die Partei der „Kadetten“ und Teile der Intelligenzija, wie die Schriftsteller Gorki und Blok, unterstützen Kerenski.
Bei den Bauern und Arbeitern sowie einem großen Teil der Soldaten stieß die neue Offensive dagegen auf Ablehnung. Auch die Argumentation Kerenskis, dass durch die Offensive Deutschland zu Friedensverhandlungen und einem allgemeinen Frieden ohne Annexionen gezwungen werden sollte, konnte die mehrheitlich kriegsmüde russische Bevölkerung nicht überzeugen. Es konnte nicht überraschen, dass die „Kerenski Offensive“ gegen die deutschen Truppen scheiterte.
Es kam es zur offenen Auflehnung einiger russischer Kompanien gegen ihre Befehlshaber. Nicht selten wurden Offiziere von ihren eigenen Soldaten verhaftet oder sogar getötet. Gegen Ende der Offensive kam es häufiger zu Verbrüderungsszenen zwischen russischen und deutschen Soldaten. Der deutschen Militärführung war die Kampfunwilligkeit der russischen Soldaten bekannt und ihre Propaganda zielte darauf, die Unruhe in der russischen Armee weiter zu fördern.
Ein Sommer der Unruhen
Die Parolen der bolschewistischen Partei wurden unter den Soldaten immer populärer, vor allem die Forderung nach einem sofortigen Frieden. Dass die zu Beginn der Revolution versprochene Landreform ausgeblieben war, verstärkte die Unzufriedenheit unter den Bauern, deren Lage sich im Krieg meist weiter verschlechtert hatte.
Es kam ab dem Sommer 1917 vermehrt zu gewaltsamen Enteignungen der Großgrundbesitzer. Zwar beschwerten sich zahlreiche Landeigner über die nichtlegalen Enteignungen bei der Regierung, doch diese war machtlos. Da die alte, zaristische Polizei aufgelöst worden war und es kaum noch Armee-Einheiten in den ländlichen Provinzen gab, konnte der Staat die Gutsbesitzer nicht mehr schützen.
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Der „Kornilow Putsch“
Da die Mehrheit der russischen Soldaten einfache Bauern waren, desertierten viele von ihnen, um bei der Neuverteilung des Landes durch Enteignungen vor Ort zu sein. Die russische Armeeführung sprach von 170.000 Deserteuren allein während der Kerenski Offensive, doch die wirkliche Zahl dürfte noch höher gelegen haben. Ganze Regimente setzten sich von der Front ab.
Der Oberbefehlshaber der russischen Armee, General Kornilow, forderte im August 1917 eine Militärdiktatur, um die Ordnung in der Armee wiederherzustellen. Sein Putschversuch scheiterte jedoch.
Das Verbot der bolschewistischen Partei wurde aufgehoben und Lenin kehrte zurück nach Petrograd. Im Petrograder Sowjet, der bis dahin noch die Regierung Kerenski gestützt hatte, gewannen nun die Bolschewisten die Oberhand und wählten Leo Trotzki, einen der führenden Köpfe der Bolschewisten, zum Vorsitzenden.
Hintergrund: Der Putschversuch und der Widerstand der roten Garden
Hintergrund: Der Putschversuch und der Widerstand der roten Garden
Der Oberbefehlshaber der russischen Armee, General Kornilow, forderte im August 1917 eine Militärdiktatur, um die Ordnung in der Armee wiederherzustellen. Kornilow setzte der Regierung ein Ultimatum. Bis heute ist nicht klar, ob Kornilow damit eine Diktatur Kerenskis forderte oder selbst die Macht ergreifen wollte. Kerenski interpretierte das Ultimatum Kornilows als den Versuch, sich selbst an die Macht zu bringen, und setzte Kornilow als Oberbefehlshaber ab. Daraufhin setzte Kornilow Truppen nach Petrograd in Marsch. Aber dort leisteten Arbeiter und Soldaten, die sich auf die Seite des Sowjets gestellt hatten, erfolgreich Widerstand.
Eine besonders wichtige Rolle spielten dabei die „Roten Garden“. Die Roten Garden waren Kampfverbände der bolschewistischen Partei, die im Frühjahr 1917 gegründet wurden und sich aus Freiwilligen, vor allem bewaffneten Arbeitern, zusammensetzten. Durch das Scheitern der Pläne Kornilows konnte Kerenski im Amt bleiben, doch vor allem die Bolschewisten hatten ihre Position gestärkt.
Hintergrund: Wie war die Lage in den Randprovinzen des Reichs?
Hintergrund: Wie war die Lage in den Randprovinzen des Reichs?
Die Nationalitätenfrage: Widerstand und Selbstbestimmung
Auch in den Provinzen verlor die Regierung Kerenski zunehmend an Unterstützung. Besonders deutlich wurde dies in den Randprovinzen des Reiches, in denen nichtrussische Nationalitäten die Mehrheit bildeten.
Polen und Teile des Baltikums waren von deutschen Truppen besetzt. In der Ukraine hatte sich schon bald nach der Februarrevolution ein ukrainischer Nationalrat, die Rada, gegründet. Im Juni 1917 erklärte die Rada die Ukraine für autonom. Zwar protestierte die russische Regierung, doch sie hatte nicht genügend Truppen, um gegen die Rada vorzugehen. Allerdings verlor in den kommenden Monaten auch die Rada die Kontrolle über die Ukraine, vor allem über die ländlichen Gebiete. Es kam zu gewaltsamen Enteignungen von Grundbesitzern, von denen viele polnischer und russischer Herkunft waren. So vermengte sich in der Ukraine die Forderung nach nationaler Selbstbestimmung mit sozialem Protest.
Auch in Finnland, das seit dem Wiener Kongress 1815 zum russischen Reich gehörte, wurden die Forderungen nach Selbstbestimmung immer lauter. Und in den unterentwickelten zentralasiatischen Gebieten des russischen Reiches regte sich gewaltsamer Widerstand.
Reaktionen der Bolschewisten
Die bolschewistische Partei stellte den nichtrussischen Nationalitäten das Recht auf Selbstbestimmung in Aussicht. Die Bolschewisten wandten sich damit gegen die provisorische Regierung, die versuchte, das Reich vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Zwar hatten auch Vertreter der Regierung nach der Februarrevolution den Minderheiten Selbstbestimmung versprochen, doch später verwiesen sie immer wieder darauf, dass darüber die geplante Konstituierende Versammlung entscheiden sollte (die nicht zustande kam).
Insbesondere die liberale Partei der Kadetten vertrat zunehmend großrussisches Gedankengut und wollte den Minderheiten allenfalls eine rein kulturelle Autonomie zugestehen. Dagegen gelang es den Bolschewisten mit ihrem Versprechen der Selbstbestimmung unter den nationalen Minderheiten viele Anhänger zu gewinnen. In der bolschewistischen Partei waren Minderheiten wie die Juden und Armenier stark überrepräsentiert. Vor allem die jüdische Minderheit war in der Zarenzeit wiederholt Pogromen ausgesetzt gewesen. Daher war bei ihr die Bereitschaft besonders groß, die radikal antimonarchistischen Bolschewiki zu unterstützen.
Kurz & knapp: Die Februarrevolution 1917 und ihre Auswirkungen
Der Zar dankt ab
Im Winter 1916/17 demonstrierten immer mehr Menschen, insbesondere Arbeiterinnen, gegen die schlechte Versorungslage der Bevölkerung. Sie protestierten gegen die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs. Als Reaktion auf die zunehmenden Proteste im Feburar 1917 dankte Zar Nikolaus II ab. Die sogenannte Februarrevolution erreichte damit das Ende der Romanow Dynastie, die 300 Jahre lang über Russland herrschte.
Eine Doppelherrschaft entstand. Das Machtvakuum nach der Abdankung füllte einerseits die Regierung im Parlament, die Duma. Andererseits bildete sich der Petrograder Sowjet, der Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten.
Warum sind die Zeitangaben unterschiedlich?
Nach heutiger gregorianischer Zeitrechung begann die Revolution am 8. März 1917. Der Name der Februarrevolution erklärt sich durch den Julianische Kalender, der bis 1918 in Russland verwendet wurde. Nach ihm begann die Revolution am 25. Februar 1917.
Verwendete Quellen
Verwendete Quellen
Figes, Orlando „Russland. Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924“. Berlin, 2014.
Haumann, Heiko „Die Russische Revolution 1917“. Köln, 2016.
Hildermeier, Manfred „Russische Revolution“. Frankfurt, 2004.
Koenen, Gerd „Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten 1900-1945. München, 2005.
Leonhard, Jörn „Die Büchse der Pandora. Geschichte I. Weltkrieges“. Bundeszentrale für politische Bildung, 2014.
Trotzki, Leo „Geschichte der Russischen Revolution“ (Orginalausgabe 1930) und „Mein Leben“ (Orginalausgabe 1929) https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/
Autor: Mathias von Hofen | Für das Netz aufbereitet und aktualisiert: Internetredaktion der LpB BW (August 2024)