Juni 2012

Victoria Caflin Woodhull - Die erste Präsidentschaftskandidatin der USA
Sie war Esoterikerin, Brookerin, Gründerin einer Zeitung, Feministin und die erste Präsidentschaftskandidatin der Vereinigten Staaten. Wer nur diese Fakten aus dem Leben der Victoria Caflin Woodhull kennt, hat schnell das Bild einer Frau aus dem 20. oder 21. Jahrhundert im Kopf. Doch weit gefehlt: Am 9. Juni 2012 jährt sich der Todestag der bemerkenswerten Amerikanerin bereits zum 85. Mal.
Ein „Kind aus der Gosse“
Es war das Jahr 1838, als Victoria Woodhull in den Vereinigten Staaten von Amerika, genauer in Homer, Ohio, zur Welt kam. Wenn es zu dieser Zeit eine Frau schon zu etwas brachte – so könnte jemand, der noch nie etwas von Victoria Woodhull gehört hat, weiter meinen – dann musste es wenigstens eine Dame aus gut betuchtem Hause sein. Nur mit familiärem Hintergrund sei es möglich, dass sich die Tochter oder Ehefrau neben der häuslichen Tätigkeit der Bildung und den hohen Künsten widmen konnte.
Zutreffend ist allerdings eher das Gegenteil: Victoria Woodhull, die man als „Kind aus der Gosse“ bezeichnen könnte, kam als siebtes von zehn Kindern in einer Familie der amerikanischen Unterschicht zur Welt, in der es nicht selten chaotisch zuging und wo kein Blatt vor den Mund genommen wurde. Prügeleien und ungezügelte Wutausbrüche waren dort keine Seltenheit. Um Konventionen oder darum, was die Nachbarn sagten, scherte sich die Familie nicht weiter. Und die Bildung? Dafür hatte die Familie Caflin weder Zeit noch Geld. Gerade einmal drei Jahre, vom achten bis zum elften Lebensjahr, drückte Victoria Caflin Woodhull die Schulbank.
Spiritismus als Lebensunterhalt
Was die Familie Caflin neben ihren unkonventionellen Verhaltensweisen für gut bürgerliche Familien suspekt machte, war ihr Sinn für Esoterik. Die Mutter hatte Visionen und ging oft durch den Wald, um mit den Bäumen zu sprechen. Auch Victoria Woodhull und ihrer Schwester Tennesee wurde eine hellseherische Fähigkeit nachgesagt, womit die Geschwister bereits in jungen Jahren nicht unerheblich zum Lebensunterhalt der Familie beitragen konnten.
Ihre erste Ehe, die Victoria Woodhull im für damalige Verhältnisse nicht ungewöhnlichen Alter von 15 Jahren einging, stellte sich als eine denkbar schlechte Partie heraus. Canning Woodhull, ihr 21-jähriger Ehemann, war oft betrunken, ging ins Bordell, hatte zahlreiche Affären und schaffte es bei diesem Lebensstil verständlicherweise kaum, seinen Pflichten als Arzt ausreichend nachzukommen. So musste Victoria Woodhull, die bald ihren ersten Sohn zur Welt brachte, die Familie ernähren und schlug sich mit Gelegenheitsjobs als Schaustellerin und Wahrsagerin durch.
1864 ließ sie sich von Woodhull scheiden und ging zwei Jahre später eine Ehe mit James Harvey Blood, einem recht wohlhabenden Intellektuellen ein, mit dem sie 1866 nach New York zog.
Victoria Woodhull um 1860 © wikimedia commons, gemeinfrei
Brookerin und Geschäftsfrau
Man könnte es einen glücklichen Zufall nennen, der das Leben der Victoria Caflin Woodhull schließlich in komplett neue Bahnen lenkte: Ihre Begegnung mit dem einflussreichen Geschäftsmann Lord Vanderbilt. In der Hoffnung auf finanziellen Zugewinn gelang es dem Vater, seinen Töchtern Victoria und Tennesee Kontakt zu dem älteren Herrn Mitte 70 zu verschaffen, der obendrein Besitzer von zwölf Eisenbahnlinien in ganz Amerika war.
Erst seit kurzem verwitwet und deshalb ein wenig einsam, fand er schnell Gefallen an der Gesellschaft der beiden Mädchen und Tennesee wurde gar seine Geliebte. Natürlich setzten die Geschwister auch ihre wahrsagerischen Fähigkeiten ein und hierin sah Victoria Woodhull ihre große Chance: Sie begann, für die Vorhersage von Aktienkursen anteilig den Gewinn zu verlangen. Victoria Woodhulls Visionen folgend profitierte Vanderbilt von einem Börsencrash, vergrößerte sein Vermögen um 1,3 Millionen Dollar und zahlte Victoria Woodhull, wie sie es vorher vereinbart hatten, die Hälfte, also sage und schreibe 650 000 Dollar, aus.
Damit war Vitctoria Woodhull eine reiche Frau. Zusammen mit ihrer Schwester Teenie ging sie mit dem neu erstandenen Vermögen an die Börse und so wurden die beiden zu den ersten Brookerinnen in einer durch und durch von Männern dominierten Finanzwelt. Woodhull, Caflin & Co nannten die Geschäftsfrauen ihr Unternehmen, das in ganz New York Aufsehen erregte.
Gründerin einer Zeitung
Doch die Geschwister wollten nicht nur zur Sensation werden, sondern auch über ihre Sicht auf Gesellschaft und Politik berichten und beschlossen, eine eigene Zeitung zu gründen. Woodhull and Caflin´s Weekly nannten sie ihr Blatt, das am 14. Mai 1870 erstmals erschien.
In erster Linie handelte es sich um eine Frauenzeitung, was aber nicht hieß, dass hier nur typische „Frauenthemen“ auf der Tagesordnung standen. Im Gegenteil: Das Blatt deckte ein breites Spektrum ab von Spiritismus über politische Berichte und Kommentare bis hin zu Ratgeberseiten, auf denen sich Frauen zu allen möglichen Themen – wie beispielsweise dem Alkoholismus ihrer Männer – gegenseitig Tipps geben konnten. Eine gewisse Berühmtheit erlangte Woodhull and Caflin´s Weekly dadurch, dass sie die erste englischsprachige Zeitung in den USA war, die das kommunistische Manifest von Marx und Engels abdruckte.
Präsidentschaftskandidatin und Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht
Ihre Meinung zur politischen Partizipation von Frauen bildete sich Victoria Caflin Woodhull vor allem auf Grundlage der Überlegungen ihres Freundes Pearl Andrews. Seiner Ansicht nach besaßen alle Menschen das Recht zur politischen Beteiligung und Mitgestaltung. Sie konnten davon Gebrauch machen, wenn sie es wollten. Wenn nicht, bedeutete dies, dass sie auf ihre Rechte verzichteten und andere davon Gebrauch machen würden.
Woodhull übertrug diese Überlegungen auf die politische Teilhabe von Frauen: Für sie erübrigte sich die Frage, ob Frauen wählen durften, entscheidend war viel mehr, ob sie von diesem Recht auch Gebrauch machen wollten.
Was zählte, war also die Bereitschaft zur Übernahme politischer Verantwortung. Victoria Woodhull bewies, dass politische Beteiligung für Frauen möglich sein konnte. Statt die gesellschaftliche Ungerechtigkeit passiv hinzunehmen trat sie aktiv in die Gesellschaft und kündigte im April 1870 einen für die damaligen Verhältnisse geradezu revolutionären Schritt an:
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Eine Frau als Präsidenschaftskandidatin! Das hatte es in den Vereinigten Staaten noch nie zuvor gegeben. Im Parteiprogramm forderte Woodhull zusammen mit der Equal Rights Party unter anderem die Einführung eines Achtstundentags, die Abschaffung der Todesstrafe, die Einrichtung eines sozialen Wohlfahrtssystems und sogar der Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs. Weder bei den Demokraten noch bei den Republikanern ließen sich derart fortschrittliche Forderungen finden. Woodhull lag außerdem enorm viel daran, die von Männern dominierte politische Kultur zu durchbrechen und Frauen dazu zu ermutigen, autonome und selbstbewusste Mitglieder der amerikanischen Gesellschaft zu werden. Nicht wenig Aufsehen erregte die Präsidentschaftskandidatin, als sie vor dem Rechtsausschuss des Kongresses am 11. Januar 1871 ihr Memorial für das Frauenstimmrecht vortrug und betonte:
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Mit ihrer Kandidatur und ihren Forderungen entsprach Victoria Woodhull nicht etwa dem Zeitgeist des 19. Jahrhunderts. Viele Amerikanerinnen waren vehement gegen eine aktive Beteiligung von Frauen an der Politik. Ihrer Ansicht nach standen die weiblichen Tugenden und Qualitäten auf dem Spiel, wenn sich die Frauen in den brutalen Machtkampf der Männer drängten.
Befürworterin der „freien Liebe“
Eine Forderung gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit, für die sich Victoria Woodhull ebenfalls mit Leib und Seele im Namen der Frauen ihres Landes einsetzte, war das, was sie als „freie Liebe“ bezeichnete.
Dieser Begriff war Ende des 19. Jahrhunderts keineswegs neu, sondern ist im Zusammenhang mit frühsozialistischen Ideen als Kampf gegen die geltenden Ehegesetze zu verstehen: Männer hatten das Recht, sich von ihren Frauen zu trennen, wann immer sie wollten; dass sie zu Prostituierten gingen, sich Geliebte oder Mätressen hielten war gesellschaftlich akzeptiert. Frauen hingegen wurden durch Ehescheidungen nicht selten in den finanziellen Ruin gestürzt und hatten unter gesellschaftlicher Ausgrenzung zu leiden.
Ihre liberalen Ideen von freier Partnerwahl und einer Lockerung der Ehegesetze, die sie 1871 öffentlich proklamierte, lösten in der amerikanischen Gesellschaft allerdings einen Skandal aus: Alle „anständigen“ amerikanischen Frauen begannen nun, sich von Woodhull zu distanzieren und in den Zeitungen wurde sie heftig kritisiert.
Victoria Caflin Woodhull Martin um 1880 © wikimedia commons, Quelle: de.wikipedia.org , Urheber: unbekannt, gemeinfrei (PD-US)
Emigration nach England und letzte Jahre
Nachdem sie sich von James Blood getrennt hatte, emigrierte Victoria Caflin Woodhull 1877 mit ihrer gesamten Familie nach England und ging dort erneut eine Ehe ein: Sie heiratete einen wohlhabenden Bankier namens John Biddulph Martin. Auch in England publizierte Woodhull gesellschaftskritische und spiritistische Texte und war in der britischen Frauenwahlrechtsbewegung engagiert. Victoria Woodhull starb am 9. Juni 1927 im Alter von 88 Jahren.
Juni 2012 (Miriam Schlasza)
Weiterführende Literatur:
- Schrupp, Antje: Das Aufsehen erregende Leben der Victoria Woodhull, Königsstein (Taunus), Ulrike Helmer Verlag: 2002
Weiterführende Links:
- Biographie auf Wikipedia: Victoria Caflin Woodhull Martin
- Deutschlandfunk: Kalenderblatt:
Ihrer Zeit weit voraus - Vor 80 Jahren starb die US-Frauenrechtlerin Victoria Claflin Woodhull - Women working, 1800-1930: Harvard University Library Open Collections Program: Victoria Woodhull
- Women in History: Living vignettes of notable women from U.S. history: Victoria Woodhull
- Feminist geek: A legal contender.... Victoria C. Woodhull: first woman to run for president
Zum Nachhören:
- Aufzeichnung eines umfassenden Vortrags über Victoria Woodhull Caflins Leben
(Eingestellt von antjeschrupp.podspot.de)