Gentrifizierungsprozess
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Der Begriff
Gentrifizierung ist ein viel verwendeter und vor allem viel diskutierter Begriff, wenn es um moderne Stadtentwicklungsprozesse geht. Aber was beschreibt dieses Wort?
Der Begriff „gentrification“, im Sinne seiner heutigen Verwendung, wurde erstmals von Ruth Glass in den 1960er-Jahren geprägt. Sie beschrieb damit die Umbrüche in der sozialen Zusammensetzung bestimmter Wohnviertel, zeitgleich mit der Steigerung des Preises für Wohnraum und Veränderung der Bausubstanz, z. B. durch Renovierung oder Neubau. Damit einher geht die Aufwertung des symbolischen Werts eines Viertels.
Heute bezeichnet Gentrifizierung die Aufwertung eines Stadtviertels, das meist zentrumsnah liegt.
Vor der Gentrifizierung sind die Wohnverhältnisse in diesem Viertel eher schlecht, was sich z. B. durch renovierungsbedürftige, veraltete Wohneinheiten und einkommensschwächere Bewohnergruppen äußert. Das Wohnviertel besitzt zu diesem Zeitpunkt einen sowohl symbolischen als auch reellen niedrigen Wert. Eine Aufwertung des Viertels zieht Einkommensstärkere an, die wiederum die ehemaligen Bewohnerinnenund Bewohner verdrängen.
Bei der Gentrifizierung eines Stadtviertels findet somit nicht nur eine bauliche Transformation statt, sondern parallel zu dieser auch der Austausch der dort Lebenden durch eine statushöhere Bevölkerung.
Der Prozess
1. Ausgangssituation
1. Ausgangssituation
Zunächst kommt eine risikofreudige Bevölkerungsgruppe, auch Pioniere genannt, in ein Wohnviertel, welches sich durch schlechte Wohn- und teils prekäre soziale Verhältnisse auszeichnet. Diese Viertel werden im alltäglichen Sprachgebrauch oft Problembezirke genannt. In ihnen leben fast ausschließlich Menschen einer niedrigeren sozialen Schicht mit wenig ökonomischem sowie niedrigem kulturellen und sozialen Kapital.
Die Pioniere lassen sich von den Zuständen im Wohnviertel nicht abschrecken. Sie werden angelockt von niedrigen Mietpreisen und der meist zentrumsnahen Lage des Viertels. Für die Pioniere sind diese Faktoren wichtig, da sie selbst, genau wie die bereits dort lebende Bevölkerung, über wenig ökonomisches Kapital verfügen. Im Gegensatz zu den Bewohnerinnen und Bewohnern des Stadtteils besitzen sie hingegen ein hohes soziales und kulturelles Kapital. Diese Gruppe besteht beispielsweise aus Studierenden, Kunstschaffenden oder Selbstständigen. Die Neuankömmlinge sind somit meist jung, kinderlos, überdurchschnittlich gut gebildet und flexibel.
In dieser Phase findet noch keine bedenkliche Verdrängung der bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner statt, da die Pioniere auf verfügbaren Leerstand zurückgreifen.
2. Charakteränderung des Viertels
2. Charakteränderung des Viertels
Durch den Zuzug der Pioniere verändert sich der Charakter des Viertels. Es entstehen beispielsweise neue Ateliers, Läden, Kneipen, Restaurants oder Cafés im Wohnviertel, die die neu Zugezogenen selbst betreiben oder die an ihre Bedürfnisse angepasst werden.
Die Pioniere etablieren neue Lebensstile im Viertel. Kleine Immobilienunternehmen beginnen, sich für den Bezirk zu interessieren, auch das Interesse der Öffentlichkeit wächst. Andere nehmen das Viertel als „trendy“ wahr; es gilt, nicht zuletzt auch für Touristen, als Geheimtipp.
Doch ein Geheimtipp in einer Stadt bleibt nicht lange geheim. Durch steigende Attraktivität des Bezirks und die stärkere Aufmerksamkeit, die er bekommt, beginnen auch statushöhere soziale Bevölkerungsgruppen, sich für das Wohnviertel zu interessieren.
3. Einzug der „Neuen Mittelklasse“
3. Einzug der „Neuen Mittelklasse“
Die Verdrängung beginnt: Einkommensstärkere Schichten empfinden den urbanen Lebensstil als modern. Bei ihnen steigt der Wunsch nach einem Leben im Stadtzentrum. Dies hängt nicht nur mit dem individuellen Geschmack der Zugehörigen der sogenannten Neuen Mittelklasse zusammen, sondern auch mit deren Lebensumständen wie Arbeits- und Familiensituation. Sie wohnen gerne nah an ihrem Arbeitsplatz und wünschen sich eine gute Infrastruktur. Viele Familien haben nur ein Kind oder sind kinderlos. Zugehörige der Neuen Mittelklasse wohnen gerne zur Miete, da sie auch beruflich mobil und flexibel bleiben möchten und müssen.
Die neu Zugezogenen, die auch investieren, werden „Gentrifier“ genannt. Sie verwenden ihr höheres ökonomisches Kapital dafür, Wohnungen und Gewerbeflächen zu renovieren oder aufzuwerten. Der Charakter des Viertels verändert sich erneut. Viele möchten Flächen nun nicht mehr nur mieten, sondern besitzen oder weitervermieten. Die Nachfrage nach Wohn- und Gewerberaum steigt.
4. Mieterhöhung und Verdrängung
4. Mieterhöhung und Verdrängung
Mit steigernder Nachfrage steigen auch die Preise. Nach der Modernisierung folgt die Mieterhöhung – schließlich ist das Viertel aufgewertet und die Wohnungen sind mehr wert. Viele der ursprünglichen Bewohner und einige der Pioniere können sich diese gestiegenen Kosten aber nicht mehr leisten, da ihr Einkommen zu niedrig ist. Sie sind somit gezwungen, ihre Wohnungen und ihr Viertel zu verlassen, obwohl sie teilweise mitgeholfen haben, das Viertel zu dem zu machen, was es nun geworden ist.
Das Problem
Urbanität, das Leben in der Stadt als Lebensstil, zeichnet sich durch Vielfältigkeit aus. Alle Menschen in einer Stadt sollten in ihren Interessen vertreten werden. Alle sollten Zugang zu bezahlbarem Wohnraum haben, der dem kulturellen Standard entspricht. Alle sollen eine verlässliche Infrastruktur sowie die öffentlichen Räume nutzen können.
Gentrifizierung gilt als räumliche Manifestierung sozialer Ungleichheit. Sie macht soziale Ungleichheit sichtbar. Wenn Menschen aus ihrer Wohnung, ihrem Zuhause, ausziehen müssen, bedeutet dies nicht nur Unkosten für den Umzug und das Einleben in neuer Umgebung. Wer umzieht, wird aus seinem gewohnten, oft auch geliebten Umfeld gerissen und muss oftmals soziale Kontakte, das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, aber auch das bloße Wohlbefinden in einer Umgebung hinter sich lassen.
Verdrängungen geschehen teils durch Schikanen oder Drohung. Mieterinnen und Mieter „flüchten“ beispielsweise, wenn akute Schäden an der eigenen Wohnung, die die Lebensqualität beeinflussen, nicht behoben werden. Beispiele dafür sind schimmelnde Wände oder defekte Sanitäranlagen. Somit können Vermieter im neuen Mietvertrag höhere Mieten fordern, die dem Mietspiegel des Viertels angepasst ist. Manche Vermieter schlagen somit aus der Verdrängung, aus der Gentrifizierung, Profit.
Darf Einkommen und Prestige Grund dafür sein, wer im Stadtzentrum lebt und die Stadt repräsentiert? Wohnverhältnisse spiegeln nicht nur soziale Strukturen wider. Sie verursachen und reproduzieren diese auch. Orte, an denen verdrängte Menschen sich neu ansiedeln, werden gleichzeitig Orte der Ausgrenzung.
Die Politik
Innerstädtisches Wohnen ist wieder beliebt, urbane Lebensräume ziehen die Menschen wieder an. Städte streben danach, sich dauerhaft zu optimieren, um sich global zu positionieren. Sie sollen attraktiv sein für qualifizierte Arbeitskräfte, Unternehmen und für den Tourismus. All das kurbelt die Wirtschaft und Steuereinnahmen einer Stadt an.
Dementsprechend werden Erneuerungsprozesse als politisches Mittel verstanden. Städte akzeptieren Gentrifizierungsprozesse. Sie wünschen und fördern diese teils auch, denn durch Gentrifizierungsprozesse werden in innerstädtischen Räumen ökonomische und soziale Ziele der Stadt erreicht. Ökonomische Ziele sind hierbei zum Beispiel die Ankurbelung der Wirtschaft durch die höhere Kaufkraft der Bewohner oder Gewinn an Attraktivität für Unternehmen, sich in der Stadt niederzulassen. Soziale Ziele können das Ansehen der innerstädtischen Gesellschaft oder eine niedrige Arbeitslosenquote der Stadt sein.
Ist Gentrifizierung aus kommunalpolitischer Sicht eine Chance für eine „Renaissance der Stadt“?
Gleichzeitig sollte Politik so ausgerichtet sein, dass es nicht nur um Geld und Wachstum geht, sondern auch um Menschen. Regierungs- und Verwaltungsinstanzen müssen sozial Schwache und Minderheiten schützen. Hier stehen Städte vor schwierigen Entscheidungen: Prestige und Wachstumsorientierung oder sozialpolitisches Agieren?
Förderprogramm "Quartiers Impulse"
Das Förderprogramm "Quartiers Impulse" der Allianz für Beteiligung setzt sich für die Quartiersentwicklung ein. Ziel ist es, Landkreise, Städte und Gemeinden bei der Entwicklung und Umsetzung von alters- und generationengerechten Quartieren, Stadtteilen und Ortschaften zu unterstützen und dadurch einen Gentrifizierungsprozess anzustoßen. Die Projekte werden vom Ministerium für Soziales und Integration sowie von Quartier 2020 gefördert.
Was tun, um Gentrifizierung einzudämmen?
Welche politischen Mittel gibt es, um Gentrifzierungsprozesse einzuschränken oder zu verhindern? Möglichkeiten, aufgezeigt am Beispiel der Stadt Stuttgart:
Begriffserklärung
Begriffserklärung
1. prekär: schwierig, unangenehm
2. ökonomisches Kapital: materieller Besitz, z. B. Einkommen, Erspartes oder Eigentum
3. kulturelles Kapital: schulische und außerschulische Bildung, Erfahrungen
4. soziales Kapital: Beziehungen und Kontakte, auf die zurückgegriffen werden können
5. Leerstand: unbewohnte, leer stehende Wohnungen und Häuser
6. etablieren: einrichten, ansiedeln, Fuß fassen
7. urban: städtisch
8. Infrastruktur: Einrichtungen, die dafür sorgen, dass eine Gesellschaft funktionert (z. B. öffentliche Verkehrsmittel, Stromversorgung, Bildungseinrichtungen)
9. Manifestierung: Sichtbarwerden, Deutlichmachung
10. Profit: Gewinn
11. reproduzieren: wieder hervorbringen, wiederherstellen
12. global: weltweit, umfassend
13. Kaufkraft: Einkommen, das einem Haushalt zur freien Verfügung übrig bleibt
14. Renaissance: Wiedergeburt
15. Prestige: Ansehen, öffentliche Geltung, Rang
16. Agieren: Handeln
Quellen
Quellen
Hartmut Häußermann: Der Einfluß von ökonomischen und sozialen Prozessen auf die Gentrification, in: Jörg Blasius/Jens S. Dangschat (Hrsg.): Gentrification. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 1990
Florian J. Huber: Stadtviertel im Gentrifizierungsprozess. Wiener Verlag für Sozialforschung und Europäischer Hochschulverlag GmbH & Co. KG Bremen, Wien 2013
Martin Kronauer: Gentrifizierung. Von Polarisierung unserer Städte. Vortrag bei der Heinrich-Böll-Stiftung, Grüne Akademie, 23. Februar 2015
Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.): Kommunaler Umgang mit Gentrifizierung. Praxiserfahrung aus acht Kommunen. Deutsches Institut für Urbanistik gGmbh, Berlin 2017
Stand: Januar 2018