Februar 2012

Sr. Dr. Lea Ackermann – frauenpolitisch engagierte Pädagogin und Ordensfrau

Am 2. Februar 2012 feiert Lea Ackermann ihren 75 Geburtstag.
Schon mit 12 Jahren wusste sie, dass sie Ordensschwester werden wollte – eine Berufung, die ihr Vater brüsk und ungehalten zurückwies.

Lea Ackermann wurde am 2. Februar 1937 im Saarland geboren; auf Wunsch ihrer Eltern machte sie eine Lehre zur Bankkauffrau und arbeitete sieben Jahre als Bankangestellte in Saarbrücken und Paris.

Trotzdem hielt Lea Ackermann an ihrem Ziel fest und trat im Jahr 1960 in die katholische Gemeinschaft der „Missionsschwestern unserer lieben Frau von Afrika“ ein. Sie wollte ein ´abenteuerliches´ Leben führen und – vor allem – ihre spirituell und christlich motivierten Ideale der Nächstenliebe und Solidarität mit leidenden und gesellschaftlich ausgegrenzten Menschen leben. Eine ausschließlich kontemplativ ausgerichtete Gemeinschaft kam daher für Lea Ackermann nie in Frage.

Nach dem Eintritt in die Ordensgemeinschaft absolvierte sie eine Lehrerinnenausbildung und wurde anschließend von der Ordensleitung 1967 nach Ruanda entsandt, wo sie an einer Internatsschule für Mädchen unterrichtete und an der sie ab 1970 Direktorin war.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1972 studierte sie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München Pädagogik, Psychologie und Theologie. Während des Studiums lernte sie Fritz Köster kennen, ihren langjährigen Freund und streitbaren Theologen, mit dem sie in zölibatärer Gemeinschaft zusammen lebt und vier Pflegekinder aufgenommen hat.

Im Jahr 1977 promovierte Lea Ackermann mit einer Dissertation über „Erziehung und Bildung in Ruanda – Probleme und Möglichkeiten eines eigenständiges Weges“, in der die Befreiungstheologie sowie die Pädagogik von Paolo Freire ( www.freire.de ) wesentliche Grundlagen darstellten. Im Anschluss an die Promotion arbeitete sie 7 Jahre lang als Bildungsreferentin bei Missio München und als Dozentin für Sozialpädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt. 

Gründung von SOLWODI

Im Jahr 1985 wurde Lea Ackermann von der Ordensleitung erneut nach Afrika entsandt, um die dortigen Lehrkräfte auszubilden - diesmal nach Mombasa in Kenia. Dazu schreibt sie:

 

„Meine Aufgabe, Lehrerfortbildung, (…) reizte mich nicht so sehr. Mombasa, das wusste ich, war eine Hochburg des Sextourismus. Dessen Folge für Frauen hatte ich schon in Ruanda kennen gelernt. Statt Pädagogik zu unterrichten hätte ich lieber Sozialarbeit für die schwarzen Prostituierten geleistet, deren wirtschaftliche Not von weißen Touristen schamlos ausgenutzt wurde. Mit diesen missbrauchten Frauen wollte ich Zukunftsperspektiven entwickeln und alternative Verdienstmöglichkeiten finden, damit sie sich und ihre Kinder ernähren konnten, ohne sich prostituieren zu müssen.“

Aus: Verkauft, versklavt, zum Sex gezwungen. Das große Geschäft mit der Ware Frau, S. 109 f.

Lea Ackermanns Wunsch erfüllte sich, denn die Lehrerfortbildung sollte ganz in einheimische Hände gelegt werden. So begann – spontan und impulsiv - ihr Engagement für Frauen und Mädchen, die von Sextourismus, Heiratshandel und Menschenhandel betroffen sind.

Mit zunehmender Einsicht in die Lebenswelt der Frauen und die Komplexität der Probleme, reifte allmählich der Gedanke an die Gründung einer Organisation oder einer Initiative. Mit der Unterstützung des katholischen Bischofs Kirima fand Lea Ackermann Räume für eine Beratungsstelle in Mombasa und initiierte das Projekt SOLWODI (Solidarity with Women in Distress – Solidarität mit Frauen in Not), das seit 1997 in Kenia als eine eigenständige Nichtregierungsorganisation anerkannt ist.

Was verbirgt sich hinter SOLWODI?

Aufgaben der Organisation sind die psychosoziale Betreuung, gesundheitliche Aufklärung und juristische Beratung betroffener Frauen und Mädchen. Da sich die Frauen oftmals aus existenzieller Not heraus und in Folge ihrer beschränkten Zugänge zu Bildungsmöglichkeiten und zum Berufsleben prostituieren, betrachtet es SOLWODI als eine weitere Aufgabe, den Frauen alternative existenzsichernde Möglichkeiten aufzuzeigen, z.B. durch Berufsausbildung oder eine Existenzgründung mithilfe von Mikrokrediten.

SOLWODI wurde 2002 erweitert durch SOLGIDI(Solidarity with Girls in Distress), einer Initiative für Töchter von Prostituierten. SOLGIDI übernimmt die Kosten für den Schulbesuch der Mädchen und organisiert Treffen für Mütter und Töchter, deren Verhältnis zueinander oft belastet ist.

Lea Ackermann hat im Laufe der Jahre ein Netz von zehn Beratungsstellen in Kenia aufgebaut sowie ein Waisen- und Witwenprojekt in der ruandischen Hauptstadt Kigali. Eine weitere Beratungsstelle besteht seit 2010 in Rumänien. Seit 1988 besteht SOLWODI auch in Deutschland als eingetragener Verein mit Sitz in Boppard-Hirzenach.

„Wir brauchen eine Kultur der Empörung.“

zitiert nach Kals, Ursula, in: FAZ 27.12.2010 „Lea Ackermann: Mit Mut und Wut“

Lea Ackermann hat dem Thema Heirats- und Menschenhandel in Deutschland zu öffentlicher Beachtung und Aufmerksamkeit verholfen. Sie hat zahlreiche Bände von (Fach-)Literatur dazu publiziert, Vorträge gehalten und Informationsveranstaltungen organisiert.

Dadurch sensibilisiert sie politische Entscheider/-innen und Bürger/-innen für die frauenrechtlichen, sozialen, (migrations-)politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dimensionen dieses Themas, aus denen sich konkrete politische Forderungen ergeben wie z.B. die nach einer Reform des Prostitutionsgesetzes von 2002.


Sr. Lea Ackermann (Mitte) mit Autorin Cornelia Filter (Links) und Alice Schwarzer (Rechts) Mai 2005 © Pressefoto SOLWODI Deutschland e.V.

In Deutschland unterstützen ca. 50 Mitarbeiterinnen – darunter Diplompsychologinnen und Ordensschwestern – in vierzehn Beratungsstellen Migrantinnen in Notsituationen im Zusammenhang mit Heirats- und Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsverheiratung und Beziehungsgewalt.

Für eine egalitäre und basisdemokratische Kirche

Auch innerhalb der (katholischen) Kirche setzt sich Lea Ackermann für die Gleichberechtigung und Anerkennung von Frauen ein: Sie befürwortet das Priesterordinariat für Frauen – und auch das Ordinariat für verheiratete Männer - und hat Pastoralreferentinnen der katholischen Kirche zu Diakoninnen ausgebildet, obwohl ihr das offiziell nicht gestattet war.


Frauen aus drei Weltreligionen - Seyran Ates, Charlotte Knobloch und Lea Ackermann (v.l.n.r.) diskutierten bei der Tagung der Katholischen Akademie in Bayern „Die Religionen und die Sorge um den (weiblichen) Menschen“. (abgeändertes Guardini-Zitat). Moderation übernahm Herr Dr. Florian Schuller, Direktor der Katholischen Akademie in Bayern.
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Sie lehnt die hierarchische Ordnung der katholischen Amtskirche ab und plädiert für eine dezentrale und demokratische Kirche, in der sich die Gläubigen selbst organisieren, bilden und gegenseitig unterstützen.

„In dem Buch „Macht und Ohnmacht auf den Philippinnen“, 1986 erschienen, hast du in dem Kapitel „Kirche nach Menschenmaß“ geschrieben, dass die Befreiungstheologien in der Dritten Welt die Macht der Liebe an die Stelle der Liebe zur Macht zu rücken versuchten. Statt sich Gesetzen, Vorschriften, Verboten, Hierarchien zu beugen, hätten sie das Heil des Menschen und der Welt eingeklagt. Damit werde der Wille zur Macht infrage gestellt, was die Machtbesessenen – auch die katholischen Eliten – empfindlich störe. Deinen Text von 1986 finde ich aktueller denn je.“

Lea Ackermann im Gespräch mit Fritz Köster, 2007

Lea Ackermann hat für ihr ausdauerndes Engagement zahlreiche Preise erhalten, u.a.

  • 2 Bundesverdienstkreuze (1992 und 1996),
  • den Ketteler-Preis (2006),
  • den Romano-Guardini-Preis (2008) und
  • die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Luzern (2008).
  • In diesem Monat, am 29.02., erhält sie das Große Bundesverdienstkreuz, verliehen durch den Bundespräsidenten.

 

Februar 2012 ( Kerstin Grimm )

 


Weiterführende Literatur:

  • Ackermann, Lea: Erziehung und Bildung in Rwanda. Probleme und Möglichkeiten eines eigenständigen Weges. Frankfurt/Main 1978
  • Ackermann, Lea: Die Situation auf den Philippinen. Eine schockierende Entwicklung. In: Köster, Fritz/Zulehner, Paul M. (Hg.): Macht und Ohnmacht auf den Philippinen. Kirche der Befreiung als eine einende Kraft. Olten 1986
  • Bundesminister für Frauen und Jugend (Hg.): Heine-Wiedenmann, Dagmar/Ackermann, Lea: Umfeld und Ausmaß des Menschenhandels mit ausländischen Mädchen und Frauen. Band 8. Stuttgart 1992
  • Ackermann, Lea/Filter, Cornelia: Die Frau nach Katalog. Freiburg 1994
  • Ackermann, Lea: Sind wir ein Spiegelbild dieser Welt? Gewalt an Kindern und Frauen. In: Engelmann, Reiner/Fiechtner, Urs M. (Hg): Frei und gleich geboren. Ein Menschenrechte - Lesebuch. Aarau Frankfurt/Main Salzburg 1998
  •  Ackermann, Lea/Engelmann, Rainer: Solidarität mit Frauen in Not – 20 Jahre SOLWODI e.V. 2005
  • Ackermann, Lea/Bell, Inge/Koelges, Barbara: Verkauft, versklavt, zum Sex gezwungen – Das große Geschäft mit der Ware Frau. München 2005
  • Ackermann, Lea/Filter, Conny: Um Gottes willen, Lea! Mein Einsatz für Frauen in Not. Freiburg im Breisgau 2005
  • Ackermann, Lea/Köster, Fritz: Über Gott und die Welt – Gespräche am Küchentisch. München 2007
  • Ackermann, Lea/ Kreutzer, Mary/Allgäuer, Alicia: In Freiheit leben, das war lange nur ein Traum – Mutige Frauen erzählen von ihrer Flucht aus Gewalt und moderner Sklaverei. München

Literatur zur Pädagogik Paolo Freires:

  • Funke, Kira: Paulo Freire: Werk, Wirkung, Aktualität. Ort? 2010

Literatur zur Befreiungstheologie:

  • Boff, Leonardo: Kirche: Charisma und Macht: 25 Jahre Befreiungstheologie. Gütersloh 2009

 

 

Weiterführende Links:

  • SOLWODI: - Solidarity with women in distress! - Solidarität mit Frauen in Not!
  • Wikipedia: Lea Ackermann

 

 

 

 

 

 

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