Mai 2013

Jeannette Rankin – Frauenrechtlerin, Politikerin und Pazifistin
“Wir sollten über die Zukunft sprechen. Die Zukunft – weil noch so viel zu tun bleibt.” Dies sagte Jeannette Rankin, eine amerikanischen Frauenrechtlerin, Politikerin und Pazifistin im Alter von 92 Jahren in einer Fernsehsendung.
Doch wer war Jeannette Rankin? In den USA lernen SchülerInnen von den Leistungen dieser engagierten Frau, doch in Deutschland kennen nur wenige interessierte Menschen ihren Namen, obwohl Jeannette Rankin eine bedeutende Rolle für die politische Stellung von Frauen im 20. Jahrhundert gespielt hat. Neben ihrem Engagement für das Frauenwahlrecht und ihren eigenen politischen Aktivitäten setzte Rankin sich zeit ihres Lebens aber immer auch für soziale Gerechtigkeit und Frieden ein. Am 18. Mai 2013 jährt sich ihr Tod zum 40. Mal.
Kindheit und Jugend in Montana
Geboren ist Jeannette Rankin am 11. Juni 1880 in Missoula County im heutigen US-Bundesstaat Montana. Im späten 19. Jahrhundert ist die Region vorwiegend vom Rohstoffabbau und der Viehzucht geprägt, eine „cowboy and mining culture of frontier Montana“ (Fenton, Matthew Mc Cann: ’I can’t stand being a worm.’, in: Biography, Bd. 1 Nr. 5 (Mai 1997), S. 73-76.). In dieser Gesellschaft wächst Jeannette Rankin als Tochter von John Rankin, einem schottischen Immigranten, der hier sein Glück gemacht hat und dessen Frau Olive Pickering, die vor ihrer Hochzeit als Lehrerin tätig gewesen ist, auf.
Rankin erklärt später, dass die Kultur Montanas sie dahingehend geprägt habe, dass ihr die Gleichstellung von Männern und Frauen, zumindest im Bezug auf das Wahlrecht, als etwas Natürliches erschienen sei:
„Die Männer im Westen hatten ein Pionierleben kennengelernt, sie gaben den Frauen das Wahlrecht und die Frauen beschlossen, es zu nutzen, um die Lebensbedingungen zu verbessern, verstehen Sie?“ (Fenton, Matthew Mc Cann: ’I can’t stand being a worm.’, in: Biography, Bd. 1 Nr. 5 (Mai 1997), S. 73-76.)
Auch Rankins Position als älteste Schwester von sieben überlebenden Kindern der Familie hat Auswirkungen. Früh entwickelt sie ein Verantwortungsbewusstsein für andere, welches ihren gesamten Lebenslauf prägt.
Ausbildung und erwachendes Interesse an sozialen Problemen
Nach ihrer schulischen Ausbildung studiert Rankin zunächst Biologie an der Montana State University in Missoula. 1902 schließt sie ihr Studium erfolgreich ab, ohne allerdings genau zu wissen, was sie nun tun soll. Eine Antwort auf diese Frage erhält sie 1904 während eines Besuchs bei ihrem Bruder in Boston.
Bei einem Gang durch die Armenviertel der Stadt wird sie zum ersten Mal direkt mit Elend und Armut konfrontiert. Als Rankin erkennt, wie sehr ImmigrantInnen in den großen Städten wie New York und San Francisco unter Armut leiden, beschließt sie, dagegen etwas zu unternehmen.
Im Jahr 1908 beginnt Rankin ein zweites Studium, diesmal an der New York School of Philantrophy (heute: Columbia University School of Social Work) mit dem Berufsziel Sozialarbeiterin.
Nach dem erfolgreichen Abschluss dieses Studium zieht sie nach Spokane im Bundesstaat Washington, um dort ihrem neuen Beruf nachzugehen. Allerdings merkt Rankin schnell, dass die reine Bekämpfung der Symptome ihr nicht liegt – sie will zu den Ursachen von Armut und sozialer Ungerechtigkeit vordringen. Wissensdurstig belegt sie auch an der University of Washington in Seattle Kurse, um sich über gesetzliche Möglichkeiten im Kampf gegen Kinderarmut, Hunger und unmenschliche Haftbedingungen zu informieren.
„Let the People Know!“
Rankins Einsatz für das Frauenwahlrecht und ihr Einstieg in die Politik
Jeannette Rankins intensive Beschäftigung mit der Bewegung für das Frauenwahlrecht mündet 1910 in ihr aktives Eintreten pro Frauenwahlrecht. In Seattle arbeitet sie an der Seite von Minnie Reynolds, einer Journalistin aus Denver, die Rankin in ihrem politischen Denken nachhaltig beeinflusst. Die um 20 Jahre ältere Reynolds und Rankin freunden sich an und bilden ein effektives Team, da die erstere Erfahrung in der Frauenbewegung hat und die letztere die Strukturen vor Ort kennt. Reynolds überzeugt Rankin vom Pazifismus, einer Grundeinstellung, von der Rankin ihr Leben lang nicht ablässt.
Nachdem der Kampf um das Frauenwahlrecht im Bundesstaat Washington erfolgreich gewesen und das Wahlrecht für Frauen 1910 eingeführt worden ist, organisiert Rankin als Angestellte der National American Woman Suffrage Association (NAWSA) in zahlreichen anderen Bundesstaaten Kampagnen für das Frauenwahlrecht. Sie konzentriert sich im Besonderen auf ihre Heimat Montana. Nachdem auch dort das Frauenwahlrecht errungen ist, beschließt Rankin, sich zur Wahl für den Amerikanischen Kongress aufstellen zu lassen. Ihre Kampagne trägt das Motto: „Let the People Know!“, womit sie ausdrücken will, dass sie besonders Menschen in ländlichen Gegenden ansprechen möchte.(Quelle: Anderson, Kathryn: Steps to Political Equality: Woman Suffrage and Electoral Politics in the Lives of Emily Newell Blair, Anne Henrietta Martin, and Jeannette Rankin, in: Frontiers: A Journal of Women Studies, Bd. 18 Nr. 1 (1997), S. 103)
Offenbar wollen die Menschen es wissen: Montana hat gerade einen weiteren Sitz im Kongress zugesprochen bekommen und Rankin wird als eine von zwei RepräsentantInnen gewählt. Damit ist Jeannette Rankin die erste Frau, die jemals in den Amerikanischen Kongress gewählt wird, noch bevor das Frauenwahlrecht auf nationaler Ebene in den USA erkämpft worden ist.
Jeannette Rankin, Aufnahme 1917 für den Einzug in den Kongress
© U.S. Senate Historical Office
Jeannette Rankin - erste Kongressabgeordnete in den USA
Im April 1917 tritt Jeannette Rankin ihre Arbeit als Kongressabgeordnete des Bundesstaats Montana an. Ihr ist bewusst, dass sie als erste Frau, die jemals ein solches Amt innehatte, die Hoffnungen vieler Frauen und damit eine Verantwortung für Frauen trägt: „Ich werde nicht nur die Frauen von Montana, sondern die Frauen des ganzen Landes repräsentieren; und ich habe viel Arbeit vor mir.” (Turnage, James: Jeannette Rankin The First of the Fairest, 13. Januar 2013, The Guardian Express)
Gleichzeitig muss Rankin ihre Position gegenüber ihren KritikerInnen rechtfertigen und hat mit einigen, teilweise sehr praktischen Schwierigkeiten zu kämpfen: So gibt es beispielsweise im ganzen Kongressgebäude keine Damentoiletten, da diese bisher nie benötigt worden sind.
Von MedienvertreterInnen wird Rankin zunächst gefeiert, allerdings keineswegs im Bezug auf ihre politische Agenda, sondern für ihr Auftreten und ihre äußere Erscheinung: „Trotz ihrer ungewöhnlichen Position und Umgebung bleibt Jeannette Rankin die typische Frau von Kopf bis Fuß“ , urteilt das Politmagazin The Nation. (Fenton, Matthew Mc Cann: ’I can’t stand being a worm.’, in: Biography, Bd. 1 Nr. 5 (Mai 1997), S. 73-76.)
Schon vier Tage nachdem Rankin ihren Amtseid abgelegt hat, ist es mit ihrer Beliebtheit jedoch schlagartig wieder vorbei: Nachdem Präsident Woodrow Wilson am 2. April 1917 nachdrücklich fordert, dass für die Sicherung der Demokratie in der Welt der Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg notwendig sei, kommt es am 6. April 1917 zur Abstimmung. Als überzeugte Pazifistin stimmt Rankin mit 49 anderen Abgeordneten gegen den Kriegseintritt und schadet mit dieser unpopulären Entscheidung ihrer politischen Karriere massiv. Bei der Abstimmung verstößt sie gegen das Protokoll und nennt den Grund für ihr Veto:
"Ich will meinem Land beistehen, aber ich kann nicht für den Krieg stimmen. Ich stimme mit ‚Nein’.” |
Rankins Möglichkeiten, in der Politik aufzusteigen, sind zunächst zerstört. Sie lässt sich davon allerdings nicht aus der Bahn werfen, sondern beharrt, auch gegen die Meinung einiger Feministinnen, auf ihrer Entscheidung. Rankin ist es wichtig, dass die erste Frau, die je nach ihrer Meinung zum Krieg gefragt worden ist, sich öffentlich dagegen positioniert.
Des Weiteren nutzt sie Wilsons Argumentation, um einmal mehr für das Wahlrecht einzutreten. Rankin eröffnet die Diskussion um das nationale Frauenwahlrecht mit der Frage, wie ein Land, das Krieg führe, um die Welt sicher für die Demokratie zu machen, seinen Bürgerinnen den Zugang zur Demokratie verweigern könne. Diese Argumentation überzeugt die Mehrheit der Abgeordneten, sodass Rankins Gesetzesantrag zur Einführung des Frauenwahlrechts 1919 angenommen und in die Verfassung aufgenommen wird. Rankin selbst ist zu Recht stolz auf diesen Erfolg:
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Pazifistin zwischen den Weltkriegen
Nach dem Ende von Rankins Amtszeit als Kongressabgeordnete kandidiert sie für den Senat. Diesmal muss sie jedoch eine Niederlage hinnehmen. Sie verliert ihre Position als Parlamentarierin, arbeitet aber in den kommenden Jahren als Aktivistin unermüdlich für eine gerechte und vor allem friedliche Welt.
Ihre sozialen Ziele bringt sie in der National Consumers League (NCL) ein; in der Women's International League for Peace and Freedom (WILPF), der Women's Peace Union und dem National Council for the Prevention of War setzt sie sich für den Pazifismus ein. Eine ihrer bekanntesten Aussagen aus dieser Zeit lautet:
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Zurück in den Kongress
Mit Beginn des II. Weltkriegs befürchtet Rankin immer mehr, dass die USA in den Krieg in Europa eintreten könnten. Um dagegen vorzugehen, lässt sie sich 1940 im Alter von 60 Jahren erneut zur Kongresswahl in Montana aufstellen und gewinnt ein Mandat. Das Motto ihrer Kampagne lautet:
„Seid zur Verteidigung bereit, aber lasst unsere Männer aus Europa draußen!“
(Fenton, Matthew Mc Cann: ’I can’t stand being a worm.’, in: Biography, Bd. 1 Nr. 5 (Mai 1997), S. 73-76.)
Diese Argumentation behält Jeannette Rankin bei, als sie 1941 in Washington, DC ankommt und sich für ein militärisch starkes und damit unangreifbares Amerika engagiert. Nach dem japanischen Luftangriff auf Pearl Harbor steht Rankin mit ihrer pazifistischen Haltung freilich allein. Als einzige Abgeordnete stimmt sie gegen einen Kriegseintritt der USA und bricht erneut das Protokoll, um ihre Gründe darzulegen:
„Als Frau kann ich nicht in den Krieg ziehen und ich weigere mich, irgend jemand anderen zu schicken.“(Unger, Nancy C.: „Rankin, Jeannette Pickering“, Art., in: American National Biography Online Feb. 2000.)
Rankins Veto stößt auf so viel Ablehnung, dass sie in einer Telefonzelle Schutz vor einem wütenden Menschenpulk suchen muss, von wo aus die Polizei sie in Sicherheit bringt. Auch die Presse geht gnadenlos mit Rankin ins Gericht und ihre parlamentarische Karriere ist unumkehrbar beendet.
Jeannette Rankin 1932, von Washington auf dem Weg zur “speaking tour“
©picture alliance/AP images
Unermüdlich engagiert
Nach ihrer zweiten Amtszeit als Kongressabgeordnete kehrt Jeannette Rankin zunächst heim nach Montana, um ihre Mutter zu pflegen. Anschließend zieht sie sich nach Georgia zurück, um dort ein Leben fernab von Konsum und moderner Technik zu führen, ganz im Sinne von Henry David Thoreaus Walden oder Leben in den Wäldern.
In diesen Jahren unternimmt Rankin zahlreiche Reisen, insbesondere nach Indien. Die Erfahrungen in anderen Kulturen bestärken Rankin darin, dass der Frieden die notwendige Basis sei, um die Probleme der Welt zu lösen. Speziell die Tradition des gewaltfreien Protests, wie Mahatma Gandhi sie in Indien verkörpert hat, macht großen Eindruck auf sie.
Protest gegen den Vietnamkrieg: The Jeannette Rankin Brigade
Noch einmal tritt Jeannette Rankin im stolzen Alter von 87 Jahren ins Licht der Öffentlichkeit. Empört über den Krieg der USA in Vietnam initiiert sie einen Protestmarsch, an dem nur Frauen teilnehmen sollen. Die Demonstration wird ihr zu Ehren die Jeannette Rankin Brigade genannt. Zu den Protestierenden gehören Vertreterinnen der Women Strike for Peace (WSP) sowie diverser Organisationen aus verschiedenen Bereichen: kirchliche, soziale, studentische Aktivistinnen ebenso wie Bürgerrechtlerinnen.
Etwa 5.000 Frauen marschieren am 15. Januar 1968 in Trauerkleidung zum Capitol Hill in Washington, um so gegen den Krieg zu demonstrieren. Dort treffen sich einige Delegierte der Jeannette Rankin Brigade mit zwei Abgeordneten des Kongresses und übergeben diesen eine Petition mit den Forderungen der Demonstrierenden.
Neben der Tatsache, dass hier Bürgerinnen bewusst als Frauen gegen den Krieg demonstrierten, wirkt die Vielfalt an politischen und sozialen Hintergründen der Teilnehmerinnen bereichernd: Für den Moment zählt die gemeinsame Überzeugung mehr als alle trennenden gesellschaftlichen Unterschiede. So singen weiße Mittelschichtfrauen Seite an Seite mit afroamerikanischen Frauen die Bürgerrechtshymne We Shall Overcome.
Rankin und die zweite Frauenbewegung in den USA
Zur Jeannette Rankin Brigade gehören auch Mitglieder feministischer Organisationen, wie der Radical Feminists oder der Women's Liberation Front. Im Anschluss an die Demonstration zum Capitol Hill ist eine große „women-power“ Konferenz geplant. Die Jeannette Rankin Brigade ist also nicht nur ein wichtiges Ereignis der Friedensbewegung, sondern auch der Frauenbewegung. Jeannette Rankin selbst kann sich mit den jüngeren Feministinnen der zweiten Frauenbewegung jedoch nicht identifizieren. So äußert sie sich kritisch über deren Forderungen:
“Viele der Dinge, nach denen Frauen heutzutage streben, sind persönliche Angelegenheiten, die nur in persönlichen Beziehungen beigelegt werden können.“
(Anderson, Kathryn: Steps to Political Equality: Woman Suffrage and Electoral Politics in the Lives of Emily Newell Blair, Anne Henrietta Martin, and Jeannette Rankin, in: Frontiers: A Journal of Women Studies, Bd. 18 Nr. 1 (1997), S. 112)
Zum Zeitpunkt dieser Äußerung ist Rankin allerdings schon 90 Jahre alt und hat erlebt, wie sich die Welt, in die geboren worden ist, bereits zugunsten der Frauen verändert hat. Insofern ist ihr Standpunkt leichter erklärbar. Aus heutiger Sicht würden wir uns sicher Rankins anfangs zitierter Ansicht anschließen, dass noch viel zu tun bleibt – auch und gerade im Bezug auf die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau.
Vor 40 Jahren, am 18. Mai 1973, stirbt Jeannette Rankin im Alter von 92 Jahren in Carmel, Kalifornien, wo sie zuletzt gelebt hat. Anstelle einer Beerdigung wird die Asche ihres Körpers über dem Meer verstreut. 1972, ein Jahr vor ihrem Tod, ist Rankin in einer Fernsehsendung zu Gast. Auf die Frage, ob sie etwas in ihrem Leben bereue, antwortet sie:
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Mai 2013 (Lara Track)
Übersetzung der englischen Zitate im Text ebenfalls Lara Track
Quellen- und Literatur
Quellen
- HORNADAY, Mary, „Woman organizes Capitol 'stand-in'“, in: The Christian Science Monitor (22. Dezember 1967), S. 11.
- HUNTER, Marjorie, „5,000 Women Rally in Capital Against War“, in: The New York Times (16. Januar 1968), S. 3.
Literatur
- ANDERSON, Kathryn: Steps to Political Equality: Woman Suffrage and Electoral Politics in the Lives of Emily Newell Blair, Anne Henrietta Martin, and Jeannette Rankin, in: Frontiers: A Journal of Women Studies, Bd. 18 Nr. 1 (1997), S. 101-121.
- FENTON, Matthew Mc Cann: ’I can’t stand being a worm.’, in: Biography, Bd. 1 Nr. 5 (Mai 1997), S. 73-76.
- HODAK, George: November 7, 1916: Jeannette Rankin Heads to Congress, in: ABA Journal, Bd. 97 Nr. 11 (November 2011), S. 15.
- SMITH, Norma: Jeannette Rankin. America’s Conscience, Montana Historical Society Press, Helena, MT 2002.
- TURNAGE, James: Jeannette Rankin The First of the Fairest, 13. Januar 2013, The Guardian Express
guardianlv.com/2013/01/jeannette-rankin-the-first-of-the-fairest - Unbekannte_r Verfasser_in: “Rankin, Jeannette (1880-1973)”, Art., in: Biographical Directory of the United States Congress bioguide.congress.gov
- UNGER, Nancy C.: „Rankin, Jeannette Pickering“, Art., in: American National Biography Online Feb. 2000.
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