Studie zur kommunalen Jugendbeteiligung in Baden-Württemberg 2012
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Einleitung
Bürgerbeteiligung ist ein erklärtes Ziel der Landesregierung in Baden-Württemberg. Bereits heute ist die Beteiligungslandschaft vielfältig und dynamisch, auch im Jugendbereich. Allerdings ist sie bislang nur wenig erfasst. Im „Zukunftsplan Jugend“, den ein Arbeitskreis aus verschiedenen Akteuren der Jugendarbeit im weiteren Sinne unter Federführung des Sozialministeriums BW im März 2013 vorgelegt hat, liegt ein Schwerpunkt auf „Partizipation und Verantwortungsübernahme“ (AG3). Die „Sichtung und Bestandsaufnahme…zur Beteiligung“ wird hier als Voraussetzung für die Förderung von Jugendpartizipation genannt. Die vorliegende Studie soll dazu einen Beitrag leisten und eine erste Datenbasis liefern.
Politische Jugendbeteiligung findet zunächst natürlich in den Jugendorganisationen der Parteien statt (Junge Grüne, JUSOS, Junge Union, JuLis etc.), aber ebenso in der großen Zahl von Nicht-Regierungsorganisationen wie der Amnesty-Jugend oder lokalen Gruppierungen. Auch Vereine und Verbände bieten eine große Palette an Mitwirkungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten (Jugendfeuerwehr, BUNDjugend etc.).
Diese zu erfassen war im Rahmen dieser Studie nicht möglich, der Rücklauf hat keine aussagekräftige Auswertung zugelassen.
Die Darstellung konzentriert sich daher auf die kommunalen Beteiligungsmöglichkeiten von Jugendlichen in Baden-Württemberg.
Bislang hat die LpB hier ausschließlich Jugendgemeinderäte statistisch erfasst. Diese Form ist für viele Akteure der Jugendarbeit im Land die geläufigste. Die Studie zeigt allerdings, dass sie bei weitem nicht die häufigste ist.
Die Rückmeldungen aus den Kommunen lassen auf eine große Vielfalt und situationsgerechte Strukturen der Jugendbeteiligung schließen. Dies dürfte die wichtigste Erkenntnis aus den vorliegenden Daten sein, die nun ergänzt und fortgeführt werden müssen, um Entscheidungen und Maßnahmen daraus abzuleiten.
Die Studie kann heruntergeladen werden: Studie zur kommunalen Jugendbeteiligung in Baden-Württemberg 2012 (2,5 MB)
Inhalt der Studie:
1. Methode
Die vorliegende Studie zur politischen Jugendbeteiligung in Baden-Württemberg wurde im Zeitraum von Dezember 2011 bis Juni 2012 durchgeführt
Download des Fragebogen (PDF)
Die Einladung zur Teilnahme an der Online-Befragung wurde via E-Mail Mitte Dezember an alle 1101 Gemeinden Baden-Württembergs verschickt.
Die Rücklaufquote lag bis zum 30.06.2012 bei 27,2%, dies entspricht 300 Kommunen. Für die Form der Umfrage ist diese Quote zwar überdurchschnittlich, dennoch ist der Rücklauf nicht repräsentativ.
Bislang gab und gibt es in Baden-Württemberg keine vergleichbare Erfassung der Anzahl und der Formen kommunaler Jugendbeteiligung.
Der Fragebogen beinhaltet zwei Teile.
- Im ersten Teil werden allgemeine Daten und Kontaktdaten der jeweiligen Kommune erfragt sowie die Art der Jugendbeteiligung.
- Der zweite Teil fragt nach Themen und Maßnahmen der jeweiligen Beteiligungsform sowie dem Bildungshintergrund der dort aktiven Jugendlichen.
Somit bietet diese Studie eine erste Datenbasis, die reproduziert, erweitert und aktualisiert werden kann.
Die Befragung umfasst 23 Fragen zu Form, Themen und Maßnahmen der Jugendbeteiligung.
2. Beteiligungsformen
Im Folgenden werden die drei Formen Jugendbeirat, Jugendforum und Jugendhearing näher untersucht.
Problematisch für die Darstellung ist der Umstand, dass bislang keine einheitlichen Definitionen der verschiedenen Formen von Jugendbeteiligung verwendet werden. So verstehen verschiedene Kommunen unter einem „Jugendforum“ zum Teil etwas ganz Unterschiedliches, andererseits gibt es für vergleichbare Beteiligungsformen unterschiedliche Begriffe.
In der vorliegenden Studie werden die Begriffe Jugendhearing, Jugendforum und Jugendbeirat unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Literatur
(siehe Quellen) folgendermaßen verwendet:
- Jugendbeiräte sind institutionalisierte Formen der kommunalen Jugendbeteiligung. Sie sind überparteiliche Gremien, die die Interessen der Jugendlichen gegenüber den politisch
Verantwortlichen vertreten. Jugendbeiräte werden in der Regel nicht gewählt, sondern benannt. Zum Teil besitzen sie Antrags- und Rederecht in politischen Ausschüssen. - Jugendforen sind halbinstitutionalisierte Formen kommunaler Jugendbeteiligung. Sie zeichnen sich durch regelmäßige Treffen und Projekte aus. Es findet keine Wahl der Mitglieder statt, die Teilnahme steht allen interessierten Jugendlichen einer Stadt/Gemeinde oder eines Landkreises offen. Ziel von Jugendforen ist es, Jugendlichen
die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen und Bedürfnisse gegenüber ihrer Stadt/Gemeinde zu vertreten und so die Lebenswelt für Jugendliche vor Ort attraktiver zu gestalten. - Jugendhearings sind nicht-institutionalisierte Formen kommunaler Jugendbeteiligung. Sie finden in der Regel ein- bis zweimal jährlich statt, können aber auch eine einmalige Veranstaltung sein. Es findet keine Wahl der Teilnehmenden statt und es besteht keine Teilnehmerbegrenzung; die Teilnahme steht allen offen. Bei Jugendhearings handelt es sich um Veranstaltungen, bei denen Jugendliche „zu Wort kommen“ und angehört werden. Ziel eines Jugendhearings ist die Diskussion über und der Austausch von Interessen, Wünschen und Kritikpunkten der Jugendlichen mit Vertretern der Stadt/Gemeinde. Hierzu werden Gesprächspartner aus verschiedenen Organisationen und der Politik eingeladen.
Die vorliegende Karte (Abbildung1) zeigt diejenigen Kommunen Baden-Württembergs, die einen Jugendbeirat, ein Jugendforum und/oder ein Jugendhearing haben.
Sie bezieht sich auf die Frage „Welche Jugendbeteiligungsformen gibt es in Ihrer Kommune?“
Auswertung:
• 61 der Befragten gaben an, ein Jugendforum zu haben,
• 30 Kommunen führen Jugendhearings durch,
• 43 Kommunen haben Jugendbeiräte
Die Karte (Abbildung 2) bildet Kommunen ab, die
(auch) projektorientierte und andere Formen von Jugendbeteiligung anbieten (zum Beispiel in der offenen Jugendarbeit, in selbstverwalteten Jugendzentren, bei Runden Tischen etc.) Sie bezieht sich auf die Frage „Welche Jugendbeteiligungsformen gibt es in Ihrer Kommune?“.
Auswertung:
87 der befragten Kommunen gaben an, Jugendbeteiligung in projektorientierter Form zu ermöglichen.
Weitere 109 der Befragten gaben andere Formen an (z.B. selbstverwaltete Jugendhäuser).
• Projektorientierte Beteiligung: 87
• Andere Formen: 109
3. Themen
Abbildung 3 zeigt die Antworten auf die Frage „Was sind die abgeschlossenen und laufenden Themen und Projekte der Beteiligungsform?“.
Dargestellt sind diese in absoluten Häufigkeiten. Zur besseren Übersicht wurden die einzelnen Nennungen zu größeren Kategorien zusammengefasst.
So beinhaltet Kooperationen/Vernetzung verschiedene Themen, die sich aus der Kooperation mit Vereinen und anderen jugendrelevanten Gruppierungen ergeben (z.B. Kulturveranstaltung mit SMV, interkulturelle Woche).
Der Bereich Politische Arbeit umfasst Themen mit direktem Bezug zu Kommunalpolitik (z.B. Anhörung bei jugendrelevanten Themen des Gemeinderats).
Weitere Nennungen sind die Durchführung von Veranstaltungen und Events, Mobilität und Infrastruktur, sowie Bildung, Integration und Aufklärungsarbeit (z.B. zu AIDS).
Die beiden letztgenannten sind hier aufgrund der häufigen Nennungen gesondert und deshalb nicht unter Politische Arbeit dargestellt.
Die Kategorie Sportstätten bezeichnet hier öffentliche Räume der Freizeitgestaltung, deren Träger die Kommune ist (z.B. Skaterpark).
Themen der Jugendbeteiligungsformen (abs. Nennungen)
Abbildung 3: Die Grafik bezieht sich auf die Frage „Was sind die abgeschlossenen und laufende Themen und Projekte der Beteiligungsform?“ und zeigt, dass politische Themen vor allem in Jugendbeiräten und Jugendhearings eine Rolle spielen. In Jugendforen hingegen sind Sportstätten sowie Veranstaltungen und Events wichtige Themen. Bei allen drei Formen der Jugendbeteiligung spielt der Themenbereich Freizeiträume/Jugendtreffs eine zentrale Rolle.
In der Beteiligungsform mit dem höchsten Grad der Institutionalisierung – den Jugendbeiräten – sind die meisten Themen nahezu gleichstark vertreten. Allerdings fällt auf, dass Mobilität und Infrastruktur sowie Sportstätten nicht bzw. kaum vorkommen. In den beiden anderen Beteiligungsformen, Jugendhearing und Jugendforum, existiert demnach eine höhere Vielfalt an Themen.
Allen drei Beteiligungsformen gemein ist der hohe Stellenwert der Bereiche Freizeiträume und Jugendtreffs, Politische Arbeit und Veranstaltungen und Events.
4. Maßnahmen
Im Fragebogen wurden die Kommunen außerdem gebeten, für die jeweilige Beteiligungsform anzugeben, wie bzw. mit welchen Maßnahmen die Jugendlichen ihre Interessen vertreten.
Die Antworten wurden im Nachhinein kategorisiert. Hierbei ergaben sich verschiedene Kategorien:
- Öffentlichkeitsarbeit: Flyer, Pressemitteilungen, Nutzung sozialer Netzwerke
- Events: Aktionen und Veranstaltungen, um Projektmittel oder Spenden zu gewinnen, zum Beispiel ein Spendenlauf für gute Zwecke oder die Refinanzierung eigener Projekte
- Projekte zu Themenschwerpunkten: Fortbildungen und Aufklärungsangebote
- Politische Arbeit: Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung / Kommunalpolitik und den Jugendlichen. Bei Jugendhearings wurden Projekte nicht als Mittel angegeben, was wahrscheinlich auf die Art der Beteiligung und die damit verbundene Kurzlebigkeit der Form zurückzuführen ist.
Mit welchen Mitteln versuchen die Jugendlichen ihre Interessen zu vertreten
Abbildung 4: Die genutzten Mittel zur Interessensvertretung sind in dieser Grafik in Prozent angegeben und beziehen sich auf die Frage „Mit welchen Mitteln versuchen die Jugendlichen ihre Interessen zu vertreten?“. Mehrfachnennungen waren möglich. Es wird deutlich, dass bei allen die zur Interessenvertretung am häufigsten genutzten Mittel politische Arbeit und Events sind. Mit 40%, 39,2% und 40% werden Events in allen Formen der Jugendbeteiligung ähnlich häufig genutzt wie politische Arbeit (35,2%, 39,2% und 43,3%).
5. Zusammenfassung und Ausblick
Zentrale Erkenntnisse der Erhebung:
- In vielen Jugendbeteiligungsformen sind mehr Hauptschüler vertreten als landläufig angenommen.
- Projektorientiertes, zeitlich begrenztes Engagement ist in vielen Kommunen eine attraktive Jugendbeteiligungsform.
Die Studie ermöglicht einen Einblick und eine erste Datenbasis zur Jugendbeteiligung in Baden-Württemberg.
Dass die vorliegende Studie die Beteiligungslandschaft in Baden-Württemberg nicht vollständig abbildet, ist schon allein daran abzulesen, dass Kommunen in ihren Internetauftritten Jugendbeteiligung vor Ort dokumentieren, manche sich an der Erhebung aber nicht beteiligt haben.
Jedoch zeigt die Studie die große Vielfalt der Jugendbeteiligungsformen und die nahezu flächendeckende Verteilung im Land. Sichtbar wird auch, dass gerade für kleine und mittlere Kommunen Jugendbeteiligung ein Thema ist. Bei einer erneuten Befragung sollten Fragen mit einer stärker strukturellen und normativen Ausrichtung ergänzt werden. Zum Beispiel:
- „Können die Jugendlichen die Themen selbst wählen?“
- „Welcher Schultyp ist am häufigsten / am wenigsten vertreten?“
- „Würden Sie sich mehr Jugendbeteiligung in Ihrer Kommune wünschen bzw. halten sie mehr Beteiligung für notwendig?“
- „Sollte Jugendbeteiligung stärker gesetzlich verankert sein?“
- „Wünschen Sie sich mehr Vielfalt in den Beteiligungsformen?“
Unabhängig von der Beteiligungsform gaben die Kommunen an, Hauptschüler seien die am stärksten vertretene Gruppe. Dies ist ein erstaunliches Ergebnis und steht im Widerspruch zu der gängigen Einschätzung von Lehrern, Akteuren der Jugendarbeit und Politikern. Allerdings kann man davon ausgehen, dass die Fragen von denjenigen beantwortet wurden, die die Situation vor Ort am besten kennen und einschätzen können.
In einer erneuten Befragung könnte der Anteil der Schularten in den jeweiligen Beteiligungsformen stärker herausgearbeitet werden. Die vorliegende Studie lässt nicht erkennen, wie viele Jugendliche eines Schultyps in der jeweiligen Beteiligungsform aktiv sind, sondern lediglich ob der Schultyp überhaupt vertreten ist.
Die nachstehende Abbildung zeigt, dass in einem Großteil der Kommunen in allen Beteiligungsformen Hauptschüler vertreten sind. Der Anteil im Vergleich zu den anderen Schularten wird hierbei jedoch nicht sichtbar.
Es ist sicherlich lohnenswert, bei einer nächsten Erhebung das Augenmerk auf eine verfeinerte Fragestellung zum Bildungshintergrund zu richten. Damit können gerade dort zielgruppengerechte Angebote geschaffen werden, wo häufig ein „zu wenig“ an Gemeinschaftskundeunterricht festzustellen und die politische Beteiligung nicht immer selbstverständlich ist.
Bildungshintergrund der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (in %)
Abbildung 5: In dieser Abbildung ist der Bildungshintergrund der Jugendlichen in den jeweiligen Beteiligungsformen in Prozent aufgeführt. Die Antworten beziehen sich auf die Frage „Welchen Bildungshintergrund haben die Jugendlichen?“ Mehrfachnennungen waren möglich. Die Abbildung zeigt zum Beispiel, dass in nur 58,8% der Jugendbeiräte Gymnasiasten vertreten sind, aber in 96,5% aller Jugendforen sich Hauptschüler beteiligen.
6. Verwendete und weiterführende Quellen
- Bundeszentrale für politische Bildung
www.bpb.de/shop/lernen/themenblaetter/36713/jugendbeteiligung-in-der-demokratie - Gemeinde Wannweil
/www.wannweil.de/forum/jugend/jugendfo.html - Jugendbeirat Bad Nauheim
www.bad-nauheim.de/jugend/jugendbeirat.html - Jugendamt Dortmund
www.dortmund.de/de/leben_in_dortmund/familie_und_soziales/jugendamt/start_jugendamt/index.html - Jugendforum Magdeburg
www.jugendforum-magdeburg.de/ - Jugendbeirat Süßen
www.suessen.de/Jugendbeirat.html - Jugendbeirat Wedel
jugendbeiratwedel.wordpress.com/ - Kreisjugendamt Garmisch-Partenkirchen
www.koja-gap.de/ - Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
http://www.buergerbeteiligung.lpb-bw.de - Michael Herman (2004): Jugendparlament in Deutschland. Strukturen, Funktionen und Evaluation. Erschienen in: Evangelische Trägergruppe für gesellschaftliche Jugendbildung.
www.politische-jugendbildung-et.de/share3/admin2.Jugendparlamente als Beteiligungsform.pdf - Stadt Stuttgart
www.newpolitics.de/jugendhearing - Stadt Hildesheim
www.hildesheim.de/magazin/magazin.php?menuid=1151&topmenu=2&keepmenu=inactive
Impressum
Redaktion:
Angelika Barth, Fachbereich Jugend und Politik
angelika.barth@ lpb.bwl.de
Freie Mitarbeiterinnen der LpB:
Charlotte Jöckel, Studentin der Politikwissenschaft
Julia Bettina Eberhardt, MSc Public Administration
Anna Kistner, Studentin der Politikwissenschaft