Eine Bilanz
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020 hatte Deutschland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union, die sogenannte EU-Ratspräsidentschaft, inne.
Die Erwartungen waren im Vorfeld sehr hoch. Inwiefern konnte Deutschland die großen Hoffnungen, die an das Land in der Mitte Europas gestellt wurden, erfüllen? Eine erste Bilanz.
Was waren die Erwartungen?

Viele hatten große Hoffnungen in die deutsche Ratspräsidentschaft gesetzt. Sie hatten erwartet, dass die Bundesrepublik Deutschland als das größte EU-Land wenigstens einige der Probleme und Krisen, mit der die Europäische Union in den letzten Jahren zu kämpfen hatte, lösen würde. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie steigerten sich die Erwartungen an die „Corona-Präsidentschaft“ zusätzlich. Da die deutsche Bundeskanzlerin zu den erfahrensten Politikern in Europa gehört und Angela Merkel sich einen Namen als „Krisenkanzlerin“ gemacht hat, richteten sich die Erwartungen auch direkt an sie. „Spiegel Online“ titelte zum Auftakt der Ratspräsidentschaft: „Königin für ein halbes Jahr“. Merkel werde nun für sechs Monate das „Schicksal der EU“ bestimmen. Das tut sie freilich nicht allein. Viele andere leisten auch einen Beitrag und entscheiden am Ende mit darüber, ob die deutsche Ratspräsidentschaft als Erfolg gewertet werden kann oder nicht.
Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009 gibt es neben der rotierenden Ratspräsidentschaft einen eigenen, permanenten Präsidenten des Europäischen Rates. Im Moment hat der belgische Politiker Charles Michel dieses Amt inne. Es ist seine Aufgabe, die Treffen der „Chefs“ zu organisieren, zu leiten und dafür zu sorgen, dass am Ende eines EU-Gipfels auch konkrete Beschlüsse getroffen werden. Angela Merkel ist in diesen Gipfelrunden formal betrachtet nur eine „normale“ Teilnehmerin wie der französische Präsident Emmanuel Macron, der italienische Regierungschef Giuseppe Conte oder die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin.
Daneben gibt es in Brüssel und in den europäischen Hauptstädten noch viele weitere Ämter und Personen, die über das „Schicksal der EU“ mitbestimmen. Das sind die Mitglieder der Europäischen Kommission und vor allem die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die ehemalige Bundesverteidigungsministerin hat einen direkten Draht in das Berliner Bundeskanzleramt und in den Élysée-Palast. Aber auch das Europäische Parlament und sein Präsident David Sassoli sind wichtige Mitspieler, weil in vielen Fällen das Brüsseler Parlament am Ende über die Gipfelbeschlüsse abstimmen muss. Verweigern die Abgeordneten ihre Zustimmung, dann können Vereinbarungen, auf die sich die Staats- und Regierungschefs in mühsamen Verhandlungen verständigt haben, platzen.
Das im Juli 2020 von den Chefs beschlossene Corona-Wiederaufbaupaket wurde im Europäischen Parlament sehr skeptisch aufgenommen. Viele Abgeordnete kritisierten, dass im neuen „Mehrjährigen Finanzrahmen“, also der mittelfristigen Finanzplanung der EU für die Jahre 2021 bis 2027, für Forschung und Bildung zu wenig Geld vorgesehen wurde. Und auch die Verknüpfung der Vergabe von EU-Geld an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit war vielen Parlamentariern nicht streng genug. In den Verhandlungen war das Europäische Parlament nicht direkt beteiligt, am Ende musste die Zustimmung nachträglich eingeholt werden.
Generell gilt in der EU-Politik, dass in Brüssel nur der Erfolg haben wird, dem es gelingt, für seine Ideen und Vorschläge eine möglichst breite Unterstützung zu organisieren. Niemand hat in der EU eine „Richtlinienkompetenz“ und keiner kann in Brüssel „durchregieren“ – das gilt vor allem bei Themen, die besonders strittig sind. Davon gab es eine ganze Menge, als die Bundesregierung Anfang Juli 2020 die Ratspräsidentschaft angetreten hat.
Was stand auf der Agenda der Ratspräsidentschaft?

Die Bundesregierung hat kurz vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft ihr Programm vorgelegt. In diesem 25 Seiten umfassenden Papier, das das Auswärtige Amt herausgegeben hat, sind sechs Themen genannt, die sich Berlin vorgenommen hat. An erster Stelle steht die „dauerhafte Überwindung der COVID-19-Pandemie und die wirtschaftliche Erholung“. Das neuartige Corona-Virus hat seit den ersten Wochen des Jahres 2020 die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten in Atem gehalten und viele an der EU fast verzweifeln lassen. Da diese Krise ja nicht die erste ist, mit der die Europäische Union seit Jahren zu kämpfen hat, hat die Pandemie die EU mit einer politischen Wucht getroffen, die alle bisherigen Krisen in den Schatten stellen. Das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ schrieb dazu im März 2020: „Was Brexit und Eurokrise nicht erreicht haben, schafft womöglich Covid-19: Europa zerbröselt“ (Der Spiegel, Nr. 13/21.3.2020). Deshalb verwundert es nicht, dass das Thema Corona zu den prägenden Themen der Ratspräsidentschaft wurde und alles andere überlagert hat.
Die anderen Ziele, die im Programm genannt werden, sind eher langfristige Projekte. Damit werden Themen und Debatten aufgenommen, die seit vielen Jahren in der Europapolitik diskutiert werden, die aber durch die Pandemie auch eine neue Dynamik erfahren haben und mit der Bekämpfung der Pandemiefolgen verknüpft wurden. Zu den eher langfristigen Themen gehören die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten, die Digitalisierung, der ökologische Umbau der Volkswirtschaften in Europa, die Stärkung der sozialen Dimension der EU (z. B. durch eine konsequente Gleichstellungspolitik) sowie die Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik. Hier geht es um die Frage, wie sich die EU gegenüber den USA und China positionieren soll, oder darum, wie die Einhaltung der europäischen Werte in den Mitgliedstaaten gesichert werden kann.
Zwei Themen bestimmten die erste Phase der Ratspräsidentschaft: die Einigung auf das Corona-Wiederaufbaupaket im Juli 2020, das mit den Verhandlungen über den „Mehrjährigen Finanzrahmen“ für die Jahre 2021-2027 verknüpft wurde, und die zähen Gespräche mit der Regierung in London über die langfristigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Insel und der EU-27. In beiden Fällen war der Zeitdruck sehr hoch. Da der aktuelle EU-Finanzrahmen Ende 2020 ausläuft, musste eine Regelung in der Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft gefunden werden. Der erste Versuch im Februar 2020, eine Einigung zum Finanzpaket – noch ohne die Verknüpfung mit den Corona-Hilfen – zu finden, ist gescheitert. Auch die Brexit-Verhandlungen liefen unter großem Zeitdruck, weil die Übergangszeit, in der noch alle EU-Regeln in Großbritannien gelten, am 31. Dezember 2020 endet. Sollte nicht rechtzeitig vorher eine Einigung zustande gekommen und ein Partnerschaftsabkommen oder zumindest ein Rahmenvertrag unterzeichnet sein, würde ein No-Deal-Brexit drohen – mit schwer kalkulierbaren und massiven Auswirkungen für die britische Wirtschaft, aber auch für deutsche Unternehmen, die sehr enge Beziehungen zur Insel haben.
Was sind die Aufgaben einer EU-Ratspräsidentschaft?

Wenn ein Land für sechs Monate die Präsidentschaft übernimmt, muss es mehrere Rollen gleichzeitig ausfüllen. Welche Rolle am Ende am wichtigsten sein wird, hängt auch ab von den jeweiligen Umständen und politischen Ereignissen in den sechs Monaten, die sich im Voraus nicht planen lassen. Jede Ratspräsidentschaft kann also von plötzlichen, auch internationalen Krisen überrascht werden. Sie muss dann rasch handeln und eine gemeinsame Reaktion der EU organisieren, etwa in Bezug auf die mutmaßlich gefälschten Wahlen in Belarus oder auch die Sanktionen gegen russische Personen, die nach Ansicht der EU mitverantwortlich waren für den Giftanschlag auf den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny. Das ist der slowakischen Regierung, die vor der deutschen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2020 die Führungsrolle in der EU innehatte, mit dem plötzlichen Auftreten des Corona-Virus passiert.
Alle Rollen und Aufgaben haben etwas zu tun mit politischer Führung (englisch: „leadership“). Da ist zum einen die politische Führung im Brüsseler Tagesgeschäft. Eine der Aufgaben der Ratspräsidentschaft ist der Vorsitz in den unterschiedlichen Ministerräten, also dem Gremium, in dem die 27 Vertreterinnen und Vertreter der EU-Staaten sitzen und sich als Umweltministerrat oder Sozialministerrat treffen, um über die EU-Gesetzesvorhaben zu verhandeln. Diese Sitzungen müssen gut vorbereitet werden. Es müssen Kompromisse geschmiedet und unterschiedliche Positionen unter einen Hut gebracht werden, so dass am Ende tatsächlich Beschlüsse getroffen werden können. Hier sollte die Ratspräsidentschaft ihre eigenen Interessen zurücknehmen und sich in der Rolle des „ehrlichen Maklers“ um einen Konsens bemühen, dem alle zustimmen können. Eine wichtige Rolle im Hintergrund spielt auch das Ratssekretariat in Brüssel. Hier sind viele EU-Beamte damit beschäftigt, das Brüsseler Räderwerk am Laufen zu halten und die rotierende Ratspräsidentschaft tatkräftig zu unterstützen.
Eine ganz andere Form von politischer Führung ist gefragt, wenn „große“ Themen auf den Weg gebracht werden sollen. Hier geht es um politische Führung im weiteren Sinne, also darum, die Europäische Union aus Krisen herauszuführen oder wenigstens Ideen und ausgefeilte Pläne auf den Tisch zu legen, die einen Ausweg aus der Krise weisen. Dass die Regierung eines EU-Staates, die die Ratspräsidentschaft ausübt, nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Koalitionspartner sich im Grundsatz einig sind, liegt auf der Hand. Das ist nicht selbstverständlich. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Fälle, in denen eine nationale Regierung in der EU-Ratspräsidentschaft kaum handlungsfähig war, weil sich die verschiedenen Koalitionspartner auf nationaler Ebene gegenseitig blockiert haben. Solche innenpolitischen Krisen schlagen dann auf die europäische Politik durch. Es ist auch schon vorgekommen, dass eine Regierung in der Zeit ihrer Ratspräsidentschaft auseinandergebrochen ist und dann als geschäftsführende Regierung nur noch das Nötigste machen konnte.
Eine Bilanz
Was wurde erreicht und was steht noch an bis zum Ende der Ratspräsidentschaft?

Am Anfang war klar, dass die Corona-Pandemie und die Brexit-Verhandlungen zu den wichtigsten Themen der deutschen Ratspräsidentschaft gehören würden. Eine Einigung in diesen Feldern würde über den Erfolg der sechs Monate entscheiden. Mit der Verknüpfung des „Mehrjährigen Finanzrahmens“ und dem Corona-Wiederaufbauinstrument („Next Generation EU“) ist auf dem Gipfel im Juli 2020 eine historische Verständigung möglich gewesen, weil viele – vor allem auch die Bundesregierung – über ihren politischen Schatten gesprungen sind.
Dass die EU nun zum ersten Mal in großem Stil gemeinsam Geld an den Finanzmärkten aufnehmen kann und diese Mittel in Form von Krediten und vor allem auch in Zuschüssen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, verteilen kann, hat viele überrascht. Vor „Corona“ und mit einer britischen Regierung am Verhandlungstisch wäre dies wohl nicht möglich gewesen. Da die Brexit-Verhandlungen noch laufen und ihr Ende im Moment nicht absehbar ist, steht hier eine Einschätzung noch aus.
Andere Themen, wie etwa die Einigung auf eine zaghafte Reform der EU-Agrarpolitik, oder auch die Frage, wie die Beziehungen der EU zu China oder auch das transatlantische Verhältnis neu ausgerichtet werden sollen, verschwinden fast im Schatten der Corona-Politik.
Was bislang auch zu kurz gekommen ist, ist die Frage, wie die Europäische Union langfristig aus ihrem Krisenmodus herausfinden und wie sie die Bürgerinnen und Bürgern stärker einbinden kann. Diese Frage geht über die sechs Monate einer Ratspräsidentschaft hinaus.
Mit der geplanten Konferenz zur Zukunft Europas, die wegen der Pandemie verschoben werden musste, bietet sich die Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie sich die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Corona-Krise geschlagen haben und welche Lehren daraus zu ziehen sind. Angesichts der Bilder aus dem Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos bleibt die Dringlichkeit einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik trotz und vor allem wegen Covid-19 sicherlich bestehen.
Programmpunkt: Europas Antwort auf die Corona-Pandemie
Programmpunkt: Europas Antwort auf die Corona-Pandemie
Wie komplex ist das Thema?
umfasst fast alle Politikbereiche (Wirtschaft, Außenpolitik, Gesundheitspolitik, usw.) und hat die Themen der ursprünglichen Agenda überlagert;
Problem: die Erwartungen an die EU sind hoch, sie kann jedoch nur in den Bereichen tätig werden, in denen sie auch Kompetenzen besitzt (z.B. Binnenmarkt);
die Corona-Krise geht an die Grundfesten der EU (Stichwort: europäische Solidarität);
mit dem im Juli 2020 beschlossenen Corona-Wiederaufbaupaket („Next Generation EU“ und „Mehrjähriger Finanzrahmen“ 2021-2027 in Gesamthöhe von 1,8 Billionen Euro) hat die EU eine historisch einmalige Summe bereitgestellt, um den von der Pandemie besonders betroffenen EU-Staaten durch die gemeinsame Aufnahme von Krediten zu helfen.
Wie kontrovers ist das Thema?
Europäische Solidarität wird nicht bestritten; strittig ist jedoch das Ausmaß der EU-Hilfe und die Frage, wie die Vergabe von EU-Finanzmitteln kontrolliert werden soll (z.B. Verknüpfung an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit).
Wie hoch ist der Zeitdruck?
Bislang ist kein Ende der Pandemie in Sicht; angesichts der wachsenden Infektions- und Todeszahlen in den EU-Staaten ist rasches und abgestimmtes Handeln in der EU gefragt.
Programmpunkt: Ein stärkeres und innovativeres Europa
Programmpunkt: Ein stärkeres und innovativeres Europa
Wie komplex ist das Thema?
Die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ist ein Megaprojekt und erfordert Anpassungen in den unterschiedlichsten Bereichen (z.B. Infrastruktur, Arbeitsmarkt, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen usw.).
Wie kontrovers ist das Thema?
Es besteht Einigkeit in den Grundsatzfragen, jedoch Streit über die Instrumente und die konkrete Umsetzung einzelner Maßnahmen.
Wie hoch ist der Zeitdruck?
Die digitale und ökologische Agenda ist ein langfristig ausgerichtetes Großprojekt; durch die Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen, die die Corona- Pandemie verursacht, bekommt die Agenda eine höhere Dringlichkeit.
Programmpunkt: Ein gerechteres Europa
Programmpunkt: Ein gerechteres Europa
Wie komplex ist das Thema?
Stärkung der sozialen Dimension und des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist seit jeher ein zentrales Ziel der EU. Durch die Corona-Pandemie ist die Forderung nach europäischer Solidarität gestiegen.
Wie kontrovers ist das Thema?
Streit zwischen den EU-Staaten in zentralen Punkten (z.B. beim Thema Gleichstellung der Geschlechter).
Wie hoch ist der Zeitdruck?
Kein unmittelbarer Handlungsdruck; die Ziele der Agenda fügen sich ein in die Politik zur Schaffung eines „Sozialen Europas“ seit den 1990er Jahren.
Programmpunkt: Ein nachhaltigeres Europa
Programmpunkt: Ein nachhaltigeres Europa
Wie komplex ist das Thema?
Die Umsetzung der ehrgeizigen Klimaziele der EU führt zu einem umfassenden Transformationsprozess für die Wirtschaft und die Gesellschaften in Europa; die EU-Kommission hat 2019 mit ihrem „European Green Deal“ die Vorlage geliefert.
Wie kontrovers ist das Thema?
Da die einzelnen EU-Staaten unterschiedlich gut auf einen umfassenden ökologischen Transformationsprozess vorbereitet sind, gibt es Konflikte über Ausmaß und Geschwindigkeit der Umsetzung der Klimapläne; um Skeptiker und Bremser zu unterstützen, bietet die EU finanzielle Hilfen für die Transformation von Wirtschaft und Energieversorgung („Just Transition Fund“).
Wie hoch ist der Zeitdruck?
Die Klimapolitik der EU zielt u.a. auf den Umbau der Wirtschaft („Green Economy“); der Handlungs- und Erwartungsdruck ist hoch, weil sich die EU auch als internationaler Vorreiter in der Klimapolitik sieht; die Pläne haben durch die Corona-Pandemie eine neue Dynamik und Bedeutung bekommen, weil die Vergabe der Corona-Mittel an bestimmte Ziele geknüpft wird: v.a. Projekte zur Digitalisierung und Nachhaltigkeit sollen gefördert werden.
Programmpunkt: Ein Europa der Sicherheit und der gemeinsamen Werte
Programmpunkt: Ein Europa der Sicherheit und der gemeinsamen Werte
Wie komplex ist das Thema?
Die EU versteht sich als Rechtsgemeinschaft und muss entsprechend die eigenen Grundwerte (z.B. Rechtsstaatlichkeit) schützen und dort, wo sie in Gefahr sind, aktiv werden;
Das Ziel, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu stärken, umfasst u.a. eine bessere Zusammenarbeit der nationalen Sicherheitsbehörden und auch ein gemeinsames Vorgehen gegen Falschinformationen im Internet.
Wie kontrovers ist das Thema?
Die Frage, ob und wie die EU die Rechtsstaatlichkeit in einzelnen Mitgliedstaaten (z.B. in Polen oder Ungarn) schützen darf, ist umstritten. Der Streit dreht sich um die Frage, ob „Brüssel“ in die nationale Politik eingreifen darf. Die EU-Kommission und die Mehrzahl der Mitgliedstaaten sehen eine Pflicht zum Eingreifen, weil das EU-Recht und die europäischen Werte in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten müssen. Ohne Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit sind grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen und Investitionen im EU-Binnenmarkt sowie die europaweite Zusammenarbeit der Justiz- und Strafverfolgungsbehörden in Gefahr (EU als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“).
Wie hoch ist der Zeitdruck?
Die Stärkung der EU als Rechtsgemeinschaft ist ein langfristig angelegtes Projekt; da die Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit in einzelnen EU-Staaten schleichend geschehen, erscheint der Handlungsdruck vermeintlich niedriger.
Programmpunkt: Eine handlungsfähige EU für eine regelbasierte internationale Ordnung
Programmpunkt: Eine handlungsfähige EU für eine regelbasierte internationale Ordnung
Wie komplex ist das Thema?
Die EU ist ein wichtiger globaler Akteur, der seine Handlungsmöglichkeiten aber nicht immer voll ausspielen kann, weil einzelne Staaten mit einem Veto Beschlüsse der EU blockieren können. Folge: Die EU kann ihre Werte und Prinzipien (z.B. Multilateralismus, Schutz der Menschenrechte usw.) in der internationalen Politik nicht immer durchsetzen und kann dadurch an Gestaltungskraft verlieren.
Wie kontrovers ist das Thema?
Es gibt einen grundsätzlichen Konsens, dass eine geschlossen auftretende EU auf der internationalen Bühne sehr viel mehr erreichen kann als ein einzelner Mitgliedstaat (auch Deutschland und Frankreich sind gegenüber den USA und China nur kleine Staaten). Da die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik jedoch zu den klassischen Aufgaben der Nationalstaaten gehören, stößt die „Europäisierung“ dieser Bereiche (etwa durch die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip) an Grenzen.
Wie hoch ist der Zeitdruck?
Die EU hat aufgrund des Rückzugs der USA als globale Ordnungsmacht, die für die Einhaltung von internationalen Regeln sorgt, und wegen des vermehrt aggressiven Auftretens von Russland und China ihre Außenpolitik neu ausgerichtet; sie will nun auch die „Sprache der Macht“ sprechen und ihre „strategische Autonomie“ (u.a. in der Ver-teidigungspolitik) ausbauen; eine enge außen- und verteidigungspolitische Anbindung Großbritanniens nach dem Brexit ist eines der drängenden Probleme in den Verhandlungen zwischen London und der EU-27.
Die Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 (Download als PDF)
(Stand: 29.10.2020, Text: Dr. Martin Große Hüttmann (Universität Tübingen) und Thomas Schinkel (LpB))
Weiterführende Links / Internetquellen
- Deutsche EU-Ratspräsidentschaft:
www.eu2020.de
- Programm der deutschen Ratspräsidentschaft
www.eu2020.de/blob/2360246/d0e7b758973f0b1f56e74730bfdaf99d/pdf-programm-de-data.pdf
- Info Aktuell 34/2020: Deutsche EU- Ratspräsidentschaft 2020 (Bundeszentrale für politische Bildung)
www.bpb.de/izpb/312678/deutsche-eu-ratspraesidentschaft-2020
- Video Tagesthemen, 24.06.2020: „Die hohen Erwartungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft“:
www.tagesschau.de/multimedia/video/video-720393.html
- Deutschlands "Corona-Präsidentschaft". Weichenstellung für die Zukunft Europas. (apuz 23-25, 2020, bpb)
www.bpb.de/apuz/310562/deutschlands-corona-praesidentschaft
- EU-Ratspräsidentschaft: Neue EU-Spitze: Präsidentin trifft Kanzlerin (Deutsche Welle (DW), Bernd Riegert, Brüssel, Juli 2020)
www.dw.com/de/neue-eu-spitze-pr%C3%A4sidentin-trifft-kanzlerin/a-54032136
- Deutschland übernimmt EU-Vorsitz. EU-Ratspräsidentschaft: Wussten Sie es? (Deutsche Welle (DW), Bernd Riegert, Brüssel, Juli 2020)
www.dw.com/de/eu-ratspr%C3%A4sidentschaft-wussten-sie-es/a-53959231
- HanisauLand: Europäischer Rat
www.hanisauland.de/node/1881
(HanisauLand bietet Kindern im Alter zwischen 8 und 14 Jahren einfache und verständliche Zugänge zum Thema Politik, aber auch darüber hinausgehende Informationen, Tipps, Unterhaltung und aktive Mitmachangebote an.“)
Autoren: Dr. Martin Große Hüttmann (Universität Tübingen) und Thomas Schinkel (LpB) | Aufbereitung für das Netz: Internetredaktion der LpB (Stand: Nov. 2020)